Altes Verfahren gegen neues Virus: Röntgenstrahlung soll Coronavirus besiegen | The Weather Channel

Altes Verfahren gegen neues Virus: Röntgenstrahlung soll Coronavirus besiegen

Doctor with radiological chest x-ray film for medical diagnosis on patient's health on asthma, lung disease and bone cancer illness
Die Bestrahlungs-Therapie wurde bereits bei der Spanischen Grippe vor 102 Jahren angewandt, um die von den Viren ausgelöste Lungenentzündung zu behandeln.
(Getty Images)

Zur Behandlung der Lungenkrankheit Covid-19 greifen Ärzte in mehreren Ländern neuerdings auf eine Therapie zurück, die schon seit Jahrzehnten bei Lungenentzündungen eingesetzt wird: die Niedrigdosis-Röntgenbestrahlung. Sie dämpft die Aktivität bestimmter Immunzellen und kann bei diesen auch ein Selbstmordprogramm auslösen, die sogenannte Apoptose.

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Tödlicher „Cytokin-Sturm“

Damit lässt sich vor allem eine überschießende Reaktion des Immunsystems auf eine Infektion mit dem neuen Coronavirus (SARS-Cov-2) verhindern, das Covid-19 verursacht. Dieser „Cytokin-Sturm“ bringt vielen Patienten den Tod. Denn die außer Kontrolle geratenen Abwehrzellen greifen körpereigenes Gewebe - anstatt nur das Virus zu bekämpfen.

Nur niedrige Strahlendosis notwendig

Bei der Therapie wird in einer Sitzung die ganze Lunge bestrahlt. „Die dazu benötigte Strahlendosis ist nur wenig höher als bei einer Computertomografie, aber um Größenordnungen niedriger als bei der Bestrahlung von Lungenkrebs“, erklärt der Radiologe Arnab Chakravarti von der Ohio State University im Online-Portal „MedScape“. „Bei dieser geringen Dosis sollte die Therapie sehr sicher für die Patienten sein.“

Tatsächlich liegt die Dosis bei 0,5 Gray (die Einheit beschreibt die vom Gewebe absorbierte Energie), was gerade einem Prozent der bei einer Krebsbehandlung verwendeten Dosis entspricht. „Damit hat die Bestrahlung keinen direkten antiviralen Effekt“, so Chakravarti. „Doch sie reduziert die Lungenentzündung und damit auch deren schwere Folgen.“

Vielversprechender Versuch in Atlanta

Inzwischen untersuchen Forscher in Italien, Spanien, Indien und im Iran den möglichen Einsatz der Therapie. Auch in Deutschland sind klinische Versuche geplant. Die meisten Erfahrungen hat eine Gruppe um die Ärzte Mohammad Khan und Clayton Hess von der Emory University in Atlanta (US-Staat Georgia) gesammelt.

Sie testeten das Verfahren an fünf Patienten im Alter von 64 bis 94 Jahren, die an Atemnot litten und Sauerstoff bekamen. Nach der Bestrahlung kamen drei von ihnen nach 24 Stunden wieder ohne Sauerstoff aus, ein vierter nach 96 Stunden, und beim fünften besserte sich der Zustand (allerdings starb er zwei Wochen später).

Zwei größere Versuchsreihen in Amerika

Es handle sich um „eine sichere und rasch wirkende Behandlung“, schreiben die Autoren in einer Studie, die bis jetzt allerdings nur als „Preprint“ erschien, also ohne fachliche Begutachtung.

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Jetzt sind zwei größere Versuchsreihen an der Ohio State University geplant, die der Radiologe Chakravarti leitet. Bei einer davon werden Patienten einbezogen, die bereits beatmet werden müssen; bei der anderen sind es Kranke, die Sauerstoff benötigen. Ziel ist, sie vor der maschinellen Beatmung zu bewahren.

Erhöhte Konzentration von Radon

In Deutschland wollen Wissenschaftler der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt sowie der Universitätskliniken in Frankfurt und Erlangen in einer präklinischen Studie prüfen, ob eine durch SARS-CoV-2 ausgelöste Lungenentzündung mit einer niedrig dosierten Bestrahlung behandelt werden kann.

Dazu wollen sie die entzündungshemmenden Effekte von zwei Verfahren vergleichen: Eines davon ist die typische Niedrigdosis-Röntgenbestrahlung. Bei dem anderen werden die Patienten einer erhöhten Konzentration von Radon ausgesetzt. Das Edelgas ist radioaktiv und geht aus dem Boden in die Atmosphäre über. In Heilbädern und sogenannten Radonstollen dient es schon lange zur Behandlung chronisch-entzündlicher Erkrankungen.

Das richtige Zeitfenster für die Bestrahlung

Ziel ist herauszufinden, in welchem Stadium der Krankheit diese Therapie den besten Erfolg verspricht. Außerdem gelte es, eine „Balance zu finden zwischen gewünschter entzündungshemmender Wirkung in der Lunge und ungewünschter immunsuppressiver Wirkung der Strahlung“, verlautbart die GSI, die mit ihren Teilchenbeschleunigern die benötigte Röntgenstrahlung erzeugen kann. Hier könne es die Chance geben, das Immunsystem mittels Radon in der gewünschten Weise zu modulieren.

Weil die Therapie die Immunantwort auf eine SARS-CoV-2-Infektion dämpft, besteht in der Tat die Gefahr, dass die Abwehrzellen das Virus nur begrenzt bekämpfen. Deshalb ist es wichtig, das richtige Zeitfenster für die Bestrahlung zu finden - und damit auch möglichst früh zu beginnen, bevor sich der Erreger massenhaft vermehren kann.

Gleiche Therapie bei der Spanischen Grippe

Mit diesem therapeutischen Ansatz setzen die Ärzte eine Medizintradition fort, die schon vor mehr als 100 Jahren begann. „Die Bestrahlung wurde beispielsweise bei der Pandemie der Spanischen Grippe von 1918 genutzt, um die von den Viren ausgelöste Lungenentzündung zu behandeln, später auch bei Arthritis und anderen Autoimmunerkrankungen“, erläutert Radiologe Chakravarti. „Die Überlebensrate behandelter Patienten lag bei bis zu 90 Prozent, warum sollte sie bei COVID-19-bedingten Lungenentzündungen nicht ebenfalls wirken?“

Niedrigdosis-Röntgenbestrahlung kann Erfolg haben

Mit den Studien reiht sich die Niedrigdosis-Röntgenbestrahlung in die Vielzahl an Behandlungsversuchen ein, die derzeit stattfinden. Ihre lange Geschichte zeigt, dass sie Erfolg haben kann, zudem lässt sie sich ohne großen Aufwand zügig anwenden. Damit könnte sie zu einem wichtigen Faktor bei der Bekämpfung des Seuchenzugs werden, für die es jedes verfügbare Werkzeug braucht.

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