Warum das Höhlendrama im fernen Thailand die Welt in Atem hielt | The Weather Channel

Warum das Höhlendrama im fernen Thailand die Welt in Atem hielt

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Auf ihrem Facebookprofil veröffentlichte die thailändische Marine dieses Bild. Die Taucher schrieben darunter: "Wir Thailänder und ein internationales Team arbeiten zusammen, um die jungen Wildschweine wieder nach Hause zu bringen."
(Thailand Navy SEAL Facebook page via AP)

 

In der Dunkelheit, eingeschlossen hinter verschlungenen Tunneln voller trüber Gewässer, blickten die Jungen einer ungewissen Zukunft entgegen. Und draußen schaute die ganze Welt gebannt auf abgelegene Hügel im Norden Thailands - fernab verbunden durch Kabel, Satelliten, Funksignale und griffbereite Smartphones.

Über zwei Wochen ging das so. Wie die Zeit in der Höhle für die zwölf Jungen und ihren Fußballtrainer waren, das kann die Welt nur erahnen. Das Weltpublikum war ganz dicht dran, aber irgendwie trotzdem weit weg. Aus der Ferne spuckte die Medienmaschinerie dennoch unablässig Live-Bilder aus dem Inneren der Höhle aus. Wegschauen konnte man da nicht. Und wollte es auch gar nicht.

„Wir brauchten wirklich einen Anlass zum Jubeln“

Ob die Jungs nach so vielen Tagen überhaupt noch am Leben waren, war über Tage unklar. Wahrscheinlich nicht. Und dann doch. Da waren die auf Video gebannten Gefangenen, die ihrer rasch wachsenden Fangemeinde zaghaft zuwinkten.

 this image made from video, released by the Thailand Government Spokesman Bureau, three of the 12 boys are seen recovering in their hospital beds after being rescued along with their coach from a flooded cave in Mae Sai, Chiang Rai province, northern Thailand. (Thailand Government Spokesman Bureau via AP)
Dieses Bild zeigt drei der zwölf Jungen nach der Rettung im Krankenhaus.
(Thailand Government Spokesman Bureau via AP)
 Konnten sie überhaupt da rauskommen, durch immerzu an- und absteigendes Wasser, dessen Pegelstände in der Höhle dann wieder zu steigen drohten? Die quälende Frage, die mit tickender Zeit immer drängender wurde, fand am Dienstag eine tosende, euphorische und abschließende Antwort: Jawohl.

„Wir brauchten wirklich einen Anlass zum Jubeln. Wir brauchten etwas Positives“, resümiert Daryl Van Tongeren, Psychologiedozent am Hope College im US-Staat Michigan. „Wir brauchten eine gute Schlagzeile, die uns durch den Tag trägt.“

Und wie ein den Hügel hinabrollender Schneeball habe sich bei Leuten die Hoffnung breitgemacht, dass sie vielleicht doch rauskommen.

Menschen lieben Geschichten über Unschuld

Doch warum zieht ein Höhlendrama im fernen Thailand die Welt so sehr in den Bann? Das Naheliegende zuerst: Da waren unschuldige Kinder, die nichts verbrochen hatten. Und Menschen lieben Geschichten über Unschuld.

Über Tage hinweg sah es so aus, als ob für die Jungen lange vor ihrer Zeit und unfairerweise die letzte Stunde geschlagen hätte. Als es aber doch nicht dazu kam, hefteten sich viele Augen auf ein Drama, in dem Kinder, die uns vielleicht an die eigenen Sprösslinge erinnerten, eine echte Chance auf ihre Rettung hatten.

Hoffnung und eine Aussicht auf ein glückliches Ende - zwei Zutaten für eine denkwürdige Saga, in der es mächtig menschelt. 

Diese Geschichte war ganz besonders, und zwar nicht nur wegen dieser Gründe. Sie stellt vor allem über einen ein Lehrstück dar: den Menschen an sich.

Der Stoff aus dem Actionfilme gemacht sind

 Eine hollywoodreife Handlung: Die reale Welt mit dem Showgeschäft zu vergleichen, ist zum Klischee geworden. „Es fühlte sich an wie in einem Film“, pflegt so mancher Augenzeuge etwa nach einer Katastrophe zu sagen.

In this undated photo released by Royal Thai Navy on Tuesday, July 10, 2018 show the last four Thai Navy SEALs come out safely after completing the rescued mission inside a cave where 12 boys and their soccer coach have been trapped since June 23, in Mae Sai, Chiang Rai province, northern Thailand. Thailand's navy SEALs say all 12 boys and their soccer coach have been rescued from a flooded cave in far northern Thailand, ending an ordeal that lasted more than two weeks. (Royal Thai Navy via AP)
Vier Taucher der thailändischen Marine, die als letzter Rettungstrupp aus der Höhle kam.
(Royal Thai Navy via AP)
 Dennoch wäre es kaum möglich, auf eine kinoreifere Erzählung zu kommen als das Höhlendrama von Chiang Rai. Dass die Guten am Ende gewinnen, folgt dem Produktionskodex Hollywoods - und eine Produktionsfirma soll bereits in den Planungen zu einem Film stecken.

 Das Höhlendrama liefere einen Rahmen für eine großartige Story, sagt Roscoe Scarborough, Soziologe am Franklin & Marshall College in Pennsylvania. „Jeder Actionfilm folgt diesem Drehbuch.

Erst denkt man, sie sind tot, doch dann leben sie. Ein Wettlauf gegen die Zeit und die Wahrscheinlichkeit, sie da herauszubekommen“, sagt der Forscher, der nebenbei als Feuerwehrmann tätig ist. „Es handelt sich um ein kulturelles Produkt, das wir verstehen. Nur dass dies eine Version aus dem wahren Leben ist.“

Technologie rettet Leben und lässt uns teilhaben

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Hilfreiche Technologie ist aus der heutigen Welt nicht wegzudenken. Dazu gehört die Möglichkeit, das Großereignis in Thailand dank TV und Smartphone verfolgen zu können.

Aber auch das technische Know-how, durch das Wasser aus der Höhle gepumpt und Sauerstoffflaschen sorgsam geeicht wurden, um die Kinder aus ihrer misslichen Lage zu befreien. All dies zeigte hautnah, wie Technologien die Menschheit voranbringen können - auch wenn es zugleich zunehmende Bedenken über deren Auswirkungen auf unser Leben und die Natur gibt.

Ein Held, der alles opfert

The body of Saman Gunan, a former Thai navy SEAL who died during an overnight mission, is carried during a repatriation and religious rites ceremony at Chiang Rai Airport in Mae Sai, Chiang Rai province, in northern Thailand Friday, July 6, 2018. The Thai navy diver working as part of the effort to rescue 12 boys and their soccer coach trapped in a flooded cave died Friday from lack of oxygen, underscoring risks of extracting the team. (AP Photo)
Der ehemalige Marinetaucher Saman Gunan verlor aufgrund von Sauerstoffmangel sein Leben.
(AP Photo)
 Dann wäre da noch jemand, der alles opferte: In diesem Drama war es der 38-jährige Saman Gunan, ein früheres Mitglied der thailändischen Marine-Spezialeinheit, das vergangene Woche bei Rettungsbemühungen für die eingeschlossenen Jungen starb.

Das kommt im Einsatz nicht selten vor: Menschen, die heroisch ihr Leben beim Versuch verlieren, anderen zu helfen. Sie werden zu Helden, die das Beste im Menschen widerspiegeln.

Bei den Feuerwehrleuten und Polizisten, die im Einsatz zu Opfern der Terroranschläge vom 11. September 2001 wurden, war das nicht anders.

Drama fernab der politischen Bühne

Es scheint klar, dass diese mediengesättigte Welt zur Abwechslung mal unpolitische, unverfängliche Nachrichten braucht. Und das Höhlendrama lieferte eben genau das: ein Drama fernab der politischen Bühne.

Die Feinde der Geschichte waren nur schwerlich auszumachen: die Natur und die tickende Zeit. Im Hintergrund lief keine Flüchtlingskrise oder Debatte über Migration, Waffenkontrolle oder wirtschaftliche Ungleichheit.

Wir schauen zu, bangen und hoffen

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Es waren zwei Wochen voller Bangen und Hoffen. Livestreams hielten die Welt über die fesselnde Rettungsaktion auf dem Laufenden.
(Royal Thai Navy via AP, File )
 Bleiben sie dran: Den Kniff, Geschichten in Serien zu erzählen, gibt es schon lange. Das fing schon im 19. Jahrhundert in Printform an und kam in der Frühphase des Kinos mit sogenannten Cliffhangern wie etwa in der Science-Fiction-Saga „Flash Gordon“ so richtig in Mode.

Das Kalkül dabei: Die Serienmacher werfen Zuschauern nur ein paar Brocken der Geschichte hin, servieren das nächste Stück aber erst in der nächsten Episode - und so weiter und so fort. An der Tradition hat sich im Zeitalter von Kult-TV-Serien nicht viel geändert.

Im Falle der Höhlen-Saga richtete sich die Aufmerksamkeit dank der Serie von Wendepunkten konstant auf die Ereignisse in Nordthailand.

Und überhaupt war das Geschehen in der Höhle nicht das erste Drama in den Untiefen der Erde, das die Welt in Atem hielt: Man denke an das Grubenunglück von San José mit der spektakulären Rettung von 33 Bergleuten in Chile im Jahr 2010.

Oder der Fall Jessica McClure, die im Alter von 18 Monaten in Texas 1987 in einen Brunnenschacht fiel und nach 58 Stunden lebend herausgezogen wurde.

Ein gutes Ende in unruhigen Zeiten

FILE - In this Monday, July 2, 2018, file photo, family members hug after hearing the news that the missing 12 boys and their soccer coach have been found in the flooded cave in Mae Sai, Chiang Rai province, northern Thailand. For the boys and their coach, we have only a hint of what it might have been like. But for the rest of us, watching from afar as the world’s journalists beamed us live shots and the unknowable became known drip by captivating drip, we knew only one thing: It was hard to look away. (AP Photo/Sakchai Lalit, File)
Familienangehörige der eingeschlossenen Jungen fallen sich in Arme, nachdem alle Kinder gerettet wurden und die Welt fieberte und freute sich mit ihnen
(AP Photo/Sakchai Lalit, File)

Das allererste Höhlenereignis, das mit den Mitteln moderner Medien begleitet wurde, drehte sich im Jahre 1925 um Floyd Collins. In Kentucky wurde der Forscher bei einer Erkundungstour in einer Höhle eingeklemmt.

Über Hörfunk wurde damals breitenwirksam über die letztlich vergeblichen Rettungsbemühungen um Collins berichtet, der in der Tiefe starb. Im Geiste jener Ära wurde zu Ehren eine Popballade auf eine Platte gebannt.

Klingt antiquiert und weit weg, nicht wahr? Doch letztlich tun wir Jahrzehnte später trotz allem technologischen Fortschritt genau das Gleiche: Wir schauen zu, bangen und hoffen auf ein Happy End. Und ziehen dann weiter. In diesen unruhigen Zeiten tun wir es diesmal aber mit einem Lächeln.

 

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