Bad in heiligen Gewässern: Millionen strömen zum größten Pilgerfest | Weather.com

Bad in heiligen Gewässern: Millionen strömen zum größten Pilgerfest

Hindu-Fest Maha Kumbh Mela in Indien
Indische Hindu-Anhänger nehmen ein heiliges Bad in Sangam, dem Zusammenfluss von Ganges, Yamuna und dem mythischen Saraswati, während des Maha Kumbh Mela Festivals 2025
(Deepak Sharma/AP/dpa  )

Als Mamta Dikshit aus dem Wasser des Ganges steigt, ist sie überglücklich. "Es ist eine Segnung", sagt die 42-jährige Inderin mit einem breiten Lächeln. "Jeder sollte hier herkommen." Die Frau ist mit ihrem Ehemann aus Kanpur in das etwa drei Fahrtstunden entfernte Prayagraj im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh gereist, um mit dem Bad eine ganz besondere rituelle Handlung vorzunehmen. 

400 M​illionen Hindus wandern zum Heiligen Fluss

Doch der Weg zum Bad im Ganges ist weit, für viele ältere Menschen auch beschwerlich. Trotz der Mühen strömen Abermillionen von Hindus in diesen Tagen nach Prayagraj - dem früheren Allahabad -, um zu den Ufern des als heilig geltenden Stroms zu gelangen. Die Straßen dorthin sind aus Sicherheitsgründen weitgehend für den Verkehr gesperrt. Wer also keinen VIP-Status hat und das Privileg genießt, mit dem Auto gefahren zu werden, muss nach der Ankunft in der Stadt mehrere Kilometer weit laufen.

30 Tote nach Massengedränge

Das Ziel der Besucher ist die Kumbh Mela oder das "Fest des heiligen Krugs". Es zieht alle drei Jahre Millionen Menschen in seinen Bann, und das, obwohl es bei den großen religiösen Festen im bevölkerungsreichsten Land der Erde immer wieder tödliche Unfälle gibt. Auch bei der aktuellen Kumbh Mela kam es am Mittwoch auf dem Festivalgelände zu einem folgenschweren Massengedränge, dabei starben 30 Menschen und etliche Pilger wurden verletzt. Das Fest wird fortgesetzt, wenn auch unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen. 

A​uch ausländische Touristen kommen

Die Menschen kommen aus dem ganzen Land, unter ihnen strenggläubige Asketen oder Wandermönche, normale Gläubige, selbst erklärte Wunderheiler und Schaulustige. Es sind Paare, Freundesgruppen oder ganze Familien, arme und wohlhabendere Menschen unterwegs. Auch einige ausländische Touristen sind zu sehen. Je nachdem wie lange die Pilger bleiben, schleppen sie Koffer und Taschen, haben Rucksäcke auf oder ziehen Trolleys hinter sich her. Manche tragen - nicht unüblich in Indien - einen Teil ihres Gepäcks auf dem Kopf.

Besondere Konstellation wie 144 Jahren nicht mehr

Viele laufen trotz der noch relativ kühlen Morgenstunden im Januar in Sandalen oder barfuß auf der mehrspurigen Straße, auf der sich die Masse je nach dem Ziel an den sandigen Uferplätzen immer von Neuem aufteilt. Der Weg führt an manchen Elendsquartieren vorbei, die teilweise hinter hohen Blechwänden verborgen liegen. Es sind Szenen, die Außenstehende an einen Flüchtlingstreck erinnern lassen. Doch in diesem Fall sind es Besucher einer gigantischen Pilgerveranstaltung. 

Diesmal ist es die Maha Kumbh Mela genannte große Ausgabe des "Krugfests", die nur alle zwölf Jahre stattfindet. Wegen der besonderen Ausrichtung der Gestirne ist es zudem ein Fest, das alle 144 Jahre gefeiert wird. Viele Teilnehmende nennen es deshalb eine Erfahrung, die sie nur einmal im Leben machen dürfen. "Es ist ein großes Fest für uns" und es mache die Einwohner seiner Stadt stolz, sagt der 18-jährige Ayush aus Prayagraj auf dem Weg zur Schule.

Magische Anziehungskraft

Der Ort, der die fast magische Anziehungskraft auf die Besucher ausübt, heißt Triveni Sangam. Er bezeichnet den Zusammenfluss des Ganges mit dem ebenfalls als heilig verehrten Yamuna sowie des nur in der Mythologie existierenden Stroms Saraswati. Im Zentrum stehen die rituellen Waschungen. Damit möchten sich die Gläubigen von ihren Sünden reinigen, zudem soll das Bad den Weg zur Erlösung aus dem Kreislauf von Leben und Wiedergeburt ebnen.

Immaterielles Kulturerbe der Menschheit

Die Kumbh Mela, die 2017 von der Unesco auf ihre Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurde, ist eines der wichtigsten Feste des Hinduismus. Die Regierung bewirbt es nicht nur als größtes religiöses Fest, sondern auch als größte menschliche Ansammlung der Welt. 
In vielerlei Hinsicht ist die mehr als sechswöchige Maha Kumbh bis zum 26. Februar laut Veranstaltern ein Fest der Superlative.

Die Regierung Uttar Pradeshs erwartet diesmal 400 bis 450 Millionen Pilger. Das wäre ein Besucherrekord und mehr als doppelt so viele Menschen, wie der Unionsstaat Einwohner hat. Die meisten Menschen werden an den wenigen, Shahi Snan genannten "königlichen Badetagen" erwartet. Der Tag, als sich die tödliche Massenpanik ereignete, galt den Gläubigen als besonders günstig für ihr Bad. Nach offiziellen Angaben waren bis zu 100 Millionen Pilger in Prayagraj unterwegs. 

Besucher, die sich ein Flugticket zur Kumbh Mela erlauben können, beklagen übermäßige Preiserhöhungen. Allein die Tickets für die Anreise an diesem Tag seien um bis zu 600 Prozent gestiegen, schreibt die Zeitung "Hindustan Times". 

Stadt in der Stadt

Das Festivalgelände ist 40 Quadratkilometer groß, damit etwa zehn Quadratkilometer mehr als die größte ostfriesische Insel Borkum. Für die Pilgermassen wurde zudem wieder eine voll ausgestattete Zeltstadt errichtet. Nach Angaben der Veranstalter stehen dort mehr als 150.000 Zelte in mehreren Preiskategorien und Größen - es ist eine Stadt in der Stadt.

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Kumbh Melas werden seit Tausenden von Jahren gefeiert. Sie gehen auf einen hinduistischen Schöpfungsmythos zurück, nach dem ein Gott im Streit mit Dämonen einen Krug mit heiligem Nektar ergatterte. Auf der Flucht in den Himmel verlor er an vier Orten - Prayagraj, Haridwar, Uljain und Nashik - einige Tropfen der Flüssigkeit. Dort wird heute alle drei Jahre reihum die Kumbh Mela gefeiert.

Heilige Männer und Frauen

Viele Pilger suchen auf ihrer spirituellen Reise die Begegnung mit den als "heilige Männer" oder "heilige Frauen" geltenden Sadhus oder Sadhvis, um ihren Segen zu erbitten. Manchen von ihnen werden heilkräftige Mächte zugeschrieben. Zur Kumbh Mela kommen sie aus ihren teils kargen, teils wohlhabenden Ashrams oder Meditationszentren, aus Einsiedeleien und Höhlen in den Bergen. Viele Sadhus sitzen in ihren Zelten auf dem Boden, manche von ihnen in schwierigen Yoga-Positionen. Unter ihnen befinden sich Asketen, die als besonderes Zeichen ihrer Hingabe seit Jahren einen Arm in die Luft strecken oder ununterbrochen stehen. Pilger und Pilgerinnen nähern sich ihnen, indem sie sich vor ihnen hinknien und eine Spende geben.

L​endenschurz und aschebedeckter Körper

Viele der auch Naga Sadhus genannten "heiligen Männer" tragen nur einen Lendenschurz oder sind komplett nackt, ihren Körper haben sie mit Asche eingerieben. Aschebedeckt ist auch der Leib des 57-jährigen Digambar Bhawani Giri, der nach eigenen Angaben das asketische Leben schon seit mehr als 40 Jahren führt, um göttliche Erlösung zu erlangen. Die verfilzten Haare des bärtigen Mannes sind von einem Blumenkranz umgeben, um den Hals trägt er mehrere Ketten. Vor ihm glimmt ein Feuer. Er sei eigens von den Bergen Uttrakhands hinabgestiegen, um am Fest teilzunehmen, erzählt er. "Ich esse nur Kräuter, weil sie gut für die Gesundheit sind." Seine Aufgabe sei es, die Menschen näher an Gott heranzubringen. Den Besucher segnet er mit einem Pfauenwedel.

Im Nachbarzelt liegt der 35 Jahre alte Sadhu Maniraj aus einem Ashram in Haridwar seitlich auf dem Boden, den linken Arm auf ein Kissen gestützt. Auf seiner Stirn zwischen den Augenbrauen trägt er als Segenszeichen einen großen roten Punkt. Shiva - der von Hindus als Gott der Zerstörung wie der Schöpfung verehrt wird - selbst habe sich mit Asche eingerieben, in den Bergen gelebt und keine Kleidung getragen, erläutert er. Shiva habe an Verbrennungsplätzen, zu denen die Toten gebracht worden seien, meditiert. "Als Gläubige Shivas bedecken auch wir unseren Körper mit Asche."

B​unte Prozessionen mit Kamelen

Eine Attraktion der Kumbh Melas sind die traditionellen und bunten Prozessionen der Akharas, die im Kern die verschiedenen hinduistischen Schulen oder Klosterorganisationen bezeichnen. Einige ihrer Mitglieder reiten auf den Rücken von Kamelen oder Pferden oder bewegen sich in Streitwagen. Auch auf großen Wagen, die von Traktoren gezogen werden, bewegen sich die Akharas mit ihren jeweiligen geistigen Anführern, die oft auf einer Art Thron sitzen, im langsamen Tempo über das Festivalgelände. Für das Bad im Ganges an den wichtigsten Tagen wird jedem Akhara eine bestimmte Zeit zugewiesen, wobei die Reihenfolge von der Bedeutung der jeweiligen Schule abhängt. 

Stärkere Frauenpräsenz: Boom der Sadhvis

Eine ganz besondere Aufmerksamkeit erhielten diesmal die Sadhvis, beschreiben indische Medien die Szene. Ihre stärkere Präsenz zeige auch, dass "sie immer mehr in den bisher von Männern dominierten religiösen Gemeinschaften akzeptiert werden", schreibt etwa "Hindustan Times". Eine von ihnen ist die 44-jährige Yogi Siddhanath Bapu, die eine Kurta und einen ebenfalls Safran-orangefarbenen Überwurf trägt. "Ich bin eine Frau, dennoch nennen sie mich Bapu (Vater)", erzählt sie selbstbewusst, während sich um sie herum eine immer dichter werdende Traube von Leuten bildet. Schon als Teenager sei sie "dem Ruf der Spiritualität" gefolgt. 

Ihre Eltern hätten sie eigentlich verheiraten wollen. Doch bei ihren Begegnungen mit den "Heiligen" habe sie die Wahrheit ihrer Worte erkannt, sagt sie über ihre eigenen Erfahrungen. Die zunehmende Zahl an Sadhvis schreibt sie auch Änderungen in der Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen zu. Frauen seien heute offener, "das ist der Grund, warum wir mehr Frauen im spirituellen Bereich sehen".

Gewirr von Stimmen und Klängen

Aus den Lautsprechern auf dem Festivalgelände dröhnen währenddessen Anweisungen oder Durchsagen über vermisste Besucher, über den Köpfen der Menschen schwirrt ein Hubschrauber. Viele Menschen tanzen auf dem sandigen Boden, eine Gruppe von Pilgern hüpft freudig um einen "heiligen Mann" mit Sonnenbrille und singt immer denselben Mantra-Vers. Aus der Ferne sind Trommeln und Schellenkränze sowie Gesänge zu hören. Es ist ein Wirrwarr an unterschiedlichsten Stimmen, Klängen und Geräuschen, das die Sinne überwältigt.

40.000 Sicherheitskräfte im Einsatz

Das gigantische Fest ist zugleich eine große Herausforderung für die Behörden, was Sicherheit und Logistik betrifft. Vor zwölf Jahren starben während einer Maha Kumbh Mela mindestens 36 Menschen im Gedränge auf einer Brücke. Der indische Rechnungshof bemängelte später unter anderem Defizite bei der Planung sowie beim Konzept zur Steuerung der Massen. Auch nach dem tödlichen Unglück beim diesjährigen Festival wird kritisiert, die Massenpanik hätte durch bessere Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden können. 

Um die Risiken zu verringern, sind nach Angaben der Veranstalter diesmal etwa 40.000 Sicherheitskräfte im Einsatz. Tausende von Überwachungskameras sowie speziell mit Künstlicher Intelligenz ausgerüstete Kameras sollen ihren Einsatz unterstützen. Über das Wasser sind 26 Pontonbrücken verlegt worden, um die Pilgerströme in beiden Richtungen der Ufer besser lenken zu können. 

L​ernen von den Heiligen Männern

Der 27-jährige Abby, der aus Indien stammt, seit sieben Jahren in den USA lebt und von dort angereist ist, sagt, er habe die Warnungen seiner Familie, die Kumbh Mela mit ihren Menschenmassen sei kein ungefährlicher Ort, in den Wind geschlagen. Wie viele jüngere Besucher lässt er sich während seines Besuchs mehr oder weniger treiben. Einen festen Schlafplatz habe er hier nicht, sagt der Mann aus Ohio, der nach eigenen Angaben im Bereich Verkauf und Marketing arbeitet. Ihm gehe es um die spirituelle Erfahrung. "Der ganze Zweck, hier zu sein, ist es, die Verbindung zu den "heiligen Männern" zu suchen, die schon lange Zeit spirituelle Praktiken ausüben." Er wolle von ihnen lernen und tauche in ihre Aura ein - "und alle Vorsicht ist verflogen".

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