Forscher zeigen: Erde ist starken Sonnenstürmen ausgesetzt - globaler Technik-Kollaps möglich | Weather.com

Forscher zeigen: Erde ist starken Sonnenstürmen ausgesetzt - globaler Technik-Kollaps möglich

Die Sonne und die Erde nebeneinander im Weltraum
Die Sonne und die Erde nebeneinander im Weltraum
(Getty Images)

Im Spätsommer 1859 hat es auf der Sonne mächtig gekracht. Ein so genannter koronaler Massenauswurf (Coronal Mass Ejection, kurz CME) schleuderte eine Wolke elektrisch geladenen Gases (ein so genanntes Plasma) ins All. Der britische Amateurastronom Richard Carrington sah die Eruption zufällig mit bloßem Auge: Er hatte die Sonne im Zuge seiner regelmäßigen Beobachtungen auf eine weiße Scheibe projiziert.

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Anfang September jenes Jahres erreichte die Wolke die Erde. Unvermittelt schossen Starkströme durch Telegraphenleitungen, mancherorts entflammten sie das in die Telegraphen eingelegte Papier. Nordlichter irrlichterten weit im Süden zwischen Kuba und Hawaii am Himmel. Bis heute gilt dieses später so genannte Carrington-Ereignis als der heftigste Sonnensturm, der seit Beginn der wissenschaftlichen Sonnenbeobachtung an der Erde anlangte.

Im Extremfall droht der Kollaps unserer technischen Zivilisation

Bislang glaubten die Astrophysiker, dass ein derart starker CME nur alle paar Jahrhunderte eintritt. Jetzt aber zeigte eine neue Studie, die im Fachjournal „Space Wheather“ erschien, dass in jüngerer Zeit mehrere vergleichbar starke Sonnenstürme die Erde trafen. Das heißt, dass diese deutlich häufiger auftreten als zuvor gedacht. „Das Carrington-Ereignis gilt als der schlimmste Fall von Extremereignissen beim Weltraumwetter, die gegen die moderne Zivilisation gerichtet sind“, sagt Studienleiter Hisashi Hayakawa von der japanischen Universität Osaka. „Tritt so etwas aber mehrmals pro Jahrhundert auf, müssen wir neu überlegen, wie wir uns darauf vorbereiten, um der Gefahr zu begegnen.“

Tatsächlich können die Plasmawolken elektrische Installationen zerstören, Funkverbindungen unterbrechen, den Flugverkehr beeinträchtigen und Satelliten beschädigen. Systeme wie GPS oder das Internet fallen rasch aus, im Extremfall droht der Kollaps unserer technischen Zivilisation.

Forscher sammeln Daten auf der ganzen Welt

Oft stieben bei solchen Eruptionen aus der Sonnenkorona mehrere zehn Milliarden Tonnen Materie davon, mit Geschwindigkeiten von bis zu sieben Millionen Kilometer pro Stunde. Sie entstehen, wenn sich große Plasmablasen über die Sonnenoberfläche erheben. Bögen aus verdrehten Magnetfeldern, die ihren Ursprung tief im Sonneninnern haben, halten das heiße Gas zusammen. Sie können jedoch reißen, dann verbinden sich die Feldlinien neu. Dabei wird das Plasma wie mit einem Peitschenschlag ins All geschleudert.

Das bisherige Wissen über Sonnenstürme beruht fast ausnahmslos auf Beobachtungen aus der westlichen Hemisphäre. Für die neue Studie sammelten die Autoren jedoch Daten auf der ganzen Welt. Zunächst trugen sie Informationen über das Carrington-Ereignis zusammen. Dazu nutzten sie Beobachtungen von Polarlichtern über der östlichen Hemisphäre – etwa von Russlands Zentralobservatorium in Pulkovo bei Sankt Petersburg – und der iberischen Halbinsel.

Die heftigste Eruption ereignete sich am 27. August 1859

Weiter werteten sie Zeitungsberichte aus diesen Regionen sowie aus Australien, Neuseeland Mexiko und Brasilien aus. Die so gewonnenen Daten verglichen sie mit den im Westen gewonnen Informationen, die auch Berichte aus Wissenschaftszeitschriften sowie Eintragungen in Schiffslogbüchern umfassten.

Eine weitere Informationsquelle waren Zeichnungen, die europäische Himmelsforscher während des Solarsturms von der Sonnenoberfläche angefertigt hatten. Sie zeigten die Entwicklung jenes riesigen Sonnenflecks, von dem die CME damals ausging. Offenbar bewirkte er auch weitere Ausbrüche, die zwischen August und Oktober 1859 erfolgten. Die heftigste Eruption ereignete sich am 27. August. Sie brachte jene Plasmawolke auf den Weg, die das Carrington-Ereignis auslöste.

"Zu erwarten, dass schlimmste Extreme häufiger auftreten als gedacht.“

Nun verglichen die Hayakawa und seine Kollegen dieses mit Sonnenstürmen aus den Jahren 1872, 1909, 1921 und 1989. Dabei fanden sie heraus, dass drei davon – 1872, 1921 und 1989 – eine ähnliche Stärke erreichten. Letzterer verursachte Stromausfälle in der kanadischen Provinz Quebec. Sechs Millionen Menschen hatten neun Stunden lang keinen Strom, zudem entstand Chaos, weil Verkehrsleitsysteme, die elektrischen Anlagen der Flughäfen sowie die Fernwärmeversorgung ausfielen.

Damit stand fest, dass das Carrington-Ereignis keineswegs so einzigartig war wie gedacht. „Zwar war es gewiss eines der extremsten Ereignisse, doch die Stürme von 1872 und 1921 waren von der Intensität her ähnlich“, konstatiert Astrophysiker Hayakawa. „Deshalb ist zu erwarten, dass die schlimmsten Extreme häufiger auftreten als gedacht.“ Dabei werde die Menschheit durch solche CME zunehmend verwundbar, doch sie sei nicht ausreichend vorbereitet. Dabei zeigt eine Studie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA (NAS), die vor einigen Jahren erschien, welche Verheerungen eine Supereruption auf der Erde anrichten kann.

Das passiert, wenn die Plasmawolke auf das irdische Magnetfeld trifft

Trifft die Plasmawolke auf das irdische Magnetfeld, wird dieses schlagartig zusammengedrückt, was in der oberen Erdkruste Ströme induziert. Sie koppeln sich in lange Stromleitungen ein, so dass sich darin hohe Spannungen aufbauen und starke Ströme fließen. Als Folge brennen in den Hochspannungstransformatoren die Spulen durch. Dadurch können ganze Regionen in nur 90 Sekunden in die Knie gehen, vornehmlich in höheren Breiten.

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Das ist aber erst der Anfang. Denn die Trafos lassen sich nicht reparieren, sondern müssen ausgetauscht werden. Das kann Monate dauern, schlimmstenfalls Jahre. Nach ein paar Wochen wäre vielleicht eine Handvoll Trafos installiert. Die übrigen müssen erst neu gebaut werden.

Flugzeuge müssten Polarrouten meiden

Als erstes fiele die Trinkwasserversorgung aus. Zugleich käme der Transport zum Erliegen. Züge, Straßen- und U-Bahnen führen nicht mehr, und in den Geschäften leeren sich die Regale. Nachschub gibt es nicht, da auch die Pumpen an den Tankstellen ausfallen, was die Lieferwagen lahmlegt.

Zudem dringen die Plasmateilchen in den Polargebieten entlang der Magnetfeldlinien tiefer in die Erdatmosphäre ein. Dort erzeugen sie Polarlichter, die auch in niedrigen Breiten zu sehen sind. Zugleich gelangt die kosmische Strahlung in tiefere Luftschichten. Sie kann die Elektronik in Flugzeugen stören, und Flugreisende werden mit höheren Strahlendosen bombardiert. Um dies zu vermeiden, müssen Flugzeuge bei starken Sonnenstürmen die Polarrouten meiden.

Forscher fordern Gegenmaßnahmen

Angesichts dieser Gefahren sei es höchste Zeit, entsprechende Gegenmaßnahmen zu implementieren, fordert der japanische Forscher Hayakawa. Dies beginne bei einer möglichst exakten Vorhersage des Weltraumwetters. Wenn klar ist, dass eine Plasmawolke auf unseren Planern zu rast, könnten sich die Astronauten auf der ISS ebenso gegen die Folgen wappnen wie die Energieversorger auf der Erde.

Eine Möglichkeit wäre, die Stromnetze mittels Kondensatorbänken, Faraday-Käfigen oder Elementen zur Stromdämpfung zu sichern. Das wäre aber noch nicht die perfekte Lösung, außerdem würde es rund 30 Milliarden Dollar kosten, um allein das US-Netz damit auszurüsten, wie die Foundation for Resilient Societies in einer 2017 veröffentlichten Studie vorrechnete.

Harvard-Wissenschaftler schlagen Magnetschirm im All vor

Wissenschaftler der renommierten Harvard-Universität schlugen daher vor, zwischen Erde und Sonne einen riesigen Magnetschirm aufzuspannen. Dazu müsste am sogenannten Lagrange-Punkt 1 im All eine riesige Stromschleife von der Größe der Erde positioniert werden. Dort heben sich die Anziehungskräfte von Erde und Sonne auf, so dass ein Flugkörper antriebslos mit unserem Planeten um das Zentralgestirn kreist. Die Schleife erzeugt, ähnlich wie in Elektrogeräten eine Spule, ein Magnetfeld, welches das bei einem Sonnensturm anfliegende Plasma von der Erde ablenkt.

Allerdings ist ein solcher Deflektor derzeit reine Utopie. Denn die Struktur würde 100.000 Tonnen wiegen, die ins All befördert werden müssten. Die Kosten lägen bei 100 Milliarden Dollar. Es würde sich aber lohnen, argumentieren die Harvard-Leute. Denn die Schäden, die von Solarstürmen pro Jahrhundert angerichtet würden, wären deutlich höher.

Selbst in Zeiten niedriger Aktivität kann es zu heftigen Eruptionen kommen

Im Moment ist das Risiko eines starken Sonnensturms allerdings gering, denn auf der Sonne ist es ziemlich ruhig. Unser Zentralgestirn hat das Minimum des aktuellen Solarzyklus erreicht. Experten erwarten, dass die nächsten Zyklen sehr schwach ausfallen.

Entsprechend dürfte die Sonne nur wenige CME ausschleudern. Doch selbst in Zeiten niedriger Aktivität kann es zu heftigen Eruptionen kommen. So erfassten Satelliten der Nasa im Mai 2009 unvermutet einen starken CME – mitten im Minimum des damaligen Solarzyklus. Auch das Carrington-Ereignis sei inmitten eines durchschnittlichen Aktivitätszyklus wie aus dem Nichts über die Erde hereingebrochen, heißt es in der NAS-Studie, zudem seien theoretisch noch viel heftigere Ausbrüche wie der von 1859 denkbar. Wir sollten also vorbereitet sein.

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