"Steht vor den Toren": Klimawandel begünstigt neuen Super-Schädling
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"Steht vor den Toren": Klimawandel begünstigt neuen Super-Schädling

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Eine Kirschessigfliege ist in der Hochschule Geisenheim in einem Laborraum in einem Behälter
(dpa)

Im benachbarten Elsass, in der Schweiz und in Österreich hat sich der Schädling schon breitgemacht. Jetzt soll das Übersiedeln der amerikanischen Rebzikade nach Deutschland mit Hilfe von speziellen Fallen in den Weinbergen und einem strengen Monitoring verhindert werden. "Sie steht vor den Toren", sagt Annette Reineke, die Expertin für die Erkrankung von Pflanzen ist. Die Professorin leitet das Institut für Phytomedizin an der Weinbau-Hochschule in Geisenheim im Rheingau (Hessen).

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In Frankreich wütet die Zikade bereits seit Jahren - und wird dort schon mit der amerikanischen Reblaus verglichen, die Anfang des 19. Jahrhunderts dem Weinbau in vielen Landstrichen Europas den Garaus machte. Genau genommen ist es nicht das Insekt selbst, sondern ein von ihm übertragenes Bakterium, das den Weinstock befällt.

Eingeschleppte Insekten vermehren sich in wärmeren Gefilden

Zwar wurde die invasive Art schon vor 60 Jahren erstmals in Südeuropa nachgewiesen. Doch ihren anscheinend unaufhaltsamen Vormarsch nach Norden verdankt die Wärme liebende Zikade dem Klimawandel. Sie ist zugleich der Beweis dafür, dass die höheren Temperaturen an Rhein, Main, Neckar oder Mosel auch den Rebschutz vor ganz neue Herausforderungen stellen.

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Gewächshäuser der Hochschule Geisenheim
(dpa)

Die nach Mitteleuropa eingeschleppten Insekten vermehren sich in den wärmeren Gefilden in der Regel stärker und haben höhere Populationen. Das gilt auch für die Kirschessigfliege, die von Asien nach Europa eingewandert ist und seit einigen Jahren den Winzern und Obstbauern schwer zu schaffen macht. In milden Wintern kann sie gut überleben und in feucht-warmen Sommern hohe Populationen aufbauen.

Winzer müssen schnell reagieren

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Neben den neuen Schädlingen kommt noch ein zweites Problem hinzu: Das Klima ist unvorhersehbar geworden. Ein Jahr kann es nass und verregnet sein. Dieses Jahr ist es so trocken und heiß wie 2003 - damals wurde voreilig schon vom "Jahrhundertsommer" gesprochen. Auch innerhalb eines Jahres können die Ausschläge der Witterung inzwischen enorm sein. Für den Winzer macht das den Pflanzenschutz immer schwieriger. "Er muss oft von einer Woche auf die andere Woche reagieren und weiß erst ganz kurzfristig, worauf er sich einstellen muss", sagt Reineke.

Zusammen mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) mit seinen 16 Messstationen und dem Weinbauamt Eltville gibt die Hochschule Geisenheim den Winzern im Rheingau und an der hessischen Bergstraße Empfehlungen, wie sich die Schädlinge im Weinberg entwickeln und was gespritzt werden muss. Generell werden nur wenig Insektizide im Weinberg eingesetzt - der Anteil der Fungizide, die gegen Pilze wirken, ist weit höher.

Insektiziden gegen Rebzikade

Bei der seit 2011 in Deutschland vorkommenden Kirschessigfliege, die vor allem die roten Trauben befällt, finden Insektizide allerdings wieder verstärkt Anwendung. Für den Weinbau stehen neue Mittel zur Verfügung, die aber teils als problematisch gelten, weil sie auch Bienen gefährlich werden können.

Gegen die Rebzikade wird in den betroffenen Ländern ebenfalls mit Insektiziden vorgegangen - darunter ist auch ein biologischer Wirkstoff für den ökologischen Weinbau. In Frankreich greifen die Winzer oft dreimal im Jahr zu Insektiziden. Sollte die Zikadenart und das von ihr übertragene Bakterium auch in Deutschland nachgewiesen werden, müssten die befallenen Stöcke komplett vernichtet werden, sagt Reineke.

"Wir wissen nicht, was noch kommt"

Für den auf möglichst wenig Spritzmittel setzenden "integrierten" Weinbau oder den Öko-Weinbau sind das düstere Aussichten. Aber noch ist die Zikade nicht im Land. Geisenheim sieht sich zumindest gewappnet: Die Hochschule steht im engen Austausch mit der südwestfranzösischen Universität Bordeaux, die bei der Bekämpfung der Zikade schon jahrelange Erfahrungen hat.

Bei der Kirschessigfliege gibt es dieses Jahr Entwarnung. Die liebt es feucht: In den vergangenen Monaten war es ihr einfach zu heiß, wie Reinhard Antes, Vorsitzender der Bergsträßer Winzergenossenschaft in Heppenheim sagt. "Da wird nichts mehr anbrennen", glaubt er. Peter Seyffardt, Präsident des Rheingauer Weinbauverband, gibt sich etwas zurückhaltender: "Wir wissen nicht, was noch kommt."

Eines steht für die Forscher fest: In einigen Jahrzehnten wird der Wein anders schmecken. Schon jetzt steigt der Alkoholgehalt in den Trauben - bei verminderter Säure. Davon profitieren Rotweinsorten, die bisher in Deutschland nicht angebaut wurden. Doch beim Riesling, dem deutschen Vorzeigeprodukt auch in Übersee, ist diese Entwicklung nicht erwünscht. Er könnte zu den Verlierern gehören.

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