Vorbildfunktion: Klimaforscher wollen weniger fliegen
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Vorbildfunktion: Klimaforscher wollen weniger fliegen

Ein Flugzeug zieht Kondensstreifen hinter sich her, während es durch die Wolken fliegt.
(Federico Gambarini/dpa)

Jahrelang war Kim Cobb eine Art Indiana Jones der Klimaforschung. Die Professorin der Georgia Tech in Atlanta flog zu den Höhlen von Borneo, um frühere und aktuelle Klimabedingungen zu untersuchen. Sie flog auf eine abgelegene Insel im Südpazifik, um die Auswirkungen der Erderwärmung auf die Korallen zu erforschen. Hinzu kamen Flüge nach Paris, Rom, Vancouver.

Insgesamt absolvierte sie in den vergangenen drei Jahren 29 Flugreisen im Dienste der Forschung und Lehre über Klimaerwärmung. Dann rechnete sie aus, wie sehr sie selbst zur Klimakrise beiträgt, und fand heraus, dass durch ihre Flüge mehr als 36,5 Tonnen wärmespeichernder Kohlenstoff in die Luft strömten.

Klimaforscher und Aktivisten schränken sich ein

Jetzt will sie öfter mal am Boden bleiben – und ist damit nicht allein: Klimaforscher und Aktivisten schränken sich ein – bei den Flugreisen, beim Fleischkonsum und beim CO2-Fußabdruck, um die von ihnen untersuchte Erderwärmung nicht noch schlimmer zu machen. Im nächsten Jahr plant Cobb nur einmal zu fliegen, zu einem bedeutenden Treffen internationaler Wissenschaftler in Chile.

In den sozialen Medien spaltet das Thema Klimaforscher und Aktivisten. Die Atmosphärenforscherin Katharine Hayhoe von der Texas Tech University fliegt einmal im Monat, häufig, um mit Klimaskeptikern unter evangelikalen Christen zu sprechen. Dafür wurde sie auf Twitter heftig kritisiert. Wie andere Wissenschaftler, die weiterhin per Flugzeug reisen, betont sie jedoch, dass der Flugverkehr nur für drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sei.

"Als würde die Klimabewegung sich selbst auffressen"

Jonathan Foley von der Klima-Denkfabrik Project Drawdown begrenzt seine Flugreisen inzwischen. Ganz mit dem Fliegen aufhören will er aber nicht, weil er sich mit Sponsoren treffen müsse, um seine Organisation am Leben zu erhalten. Flugscham in der Klimaforschung sei, "als würde die Klimabewegung sich selbst auffressen", sagt Foley.

Shahzeen Attari erforscht an der Indiana University das menschliche Verhalten und den Klimawandel: "Ich bin hin- und hergerissen deshalb", sagt sie. Cobb ist für sie eine wichtige Kommunikatorin in Sachen Klima: "Ich möchte nicht ihre Flügel stutzen." Doch würden Cobb und Hayhoe daran gemessen, wie viel Energie sie verbrauchten. Attaris Forschungen ergaben demnach, dass Zuhörer jene Wissenschaftler ablehnten, die zuhause viel Energie verbrauchen.

Sie reagierten eher auf Experten, die weniger Strom verbrauchen: "Es ist, wie wenn man einen übergewichtigen Arzt hat, der einem Diätratschläge gibt." Hingegen störe es die Leute weniger, wenn Wissenschaftler per Flugzeug zu Vorträgen reisten.

Mehrere Besuche und Vorträge zusammenfassen

Für Michael Mann von der Pennsylvania State University kommt es vor allem auf die Vermittlung an. "Ich sage den Leuten nicht, sie sollen kinderlose, vom Netz abgekoppelte Einsiedler werden. Und ich selbst bin auch keiner", schreibt er in einer E-Mail. "Ich sage den Leuten aber, dass individuelles Handeln TEIL der Lösung ist, und dass es viele Dinge gibt, die wir im täglichen Leben tun können, um Geld zu sparen, gesünder zu leben, uns besser zu fühlen UND unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Warum sollten wir diese Dinge nicht tun?" Er selbst beziehe seinen Strom aus erneuerbaren Energien, fahre ein Hybridfahrzeug, esse kein Fleisch und habe ein Kind.

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Wenn Hayhoe fliegt, fasst sie mehrere Vorträge und Besuche für eine Flugreise zusammen, beispielsweise absolvierte sie 30 Vorträge in Alaska während einer fünftägigen Reise. Zu einer Vorlesung vor Ort kommen nach ihren Worten mehr Leute, als wenn sie übertragen wird, und in Gesprächen mit den Leuten lerne sie immer dazu. "Sie brauchen einen Katalysator, um den nächsten Schritt zu tun, und mein Besuch könnte dieser Katalysator sein."

Al Gore hat 1000 Solarmodule auf seiner Farm

Bei der Konferenz der Amerikanischen Geophysikalischen Vereinigung in San Francisco soll Marshall Shepherd von der University of Georgia am Mittwoch einen Preis für Klimakommunikation erhalten. Doch er will ihn nicht persönlich abholen und damit 1,2 Tonnen Kohlendioxid einsparen. Zwar verurteile er die Leute nicht, die sich fürs Fliegen entscheiden. Aber er hoffe, dass seine Entscheidung gegen das Fliegen die Leute zum Nachdenken bringe "über Alternativen und alle damit einhergehenden kleinen Veränderungen".

Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore hat nach eigenen Worten auf seiner Farm 1000 Solarmodule installiert, auf vegane Ernährung umgestellt und ein Elektroauto in Gebrauch. "Es ist zwar wichtig, die Glühbirnen auszutauschen", schreibt er in einer Mail, "aber es ist viel wichtiger, Politik und Gesetze der Nation und an unserem Wohnort zu ändern."

Greta Thunberg: Nachhaltig zu leben "ist praktisch unmöglich"

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg sorgte für Schlagzeilen, als sie statt per Flugzeug mit einem emissionsfreien Segelboot über den Atlantik reiste. "Ich möchte den Schwerpunkt auf die Tatsache legen, dass man heute im Grunde genommen nicht nachhaltig leben kann", sagte Thunberg. "Es ist praktisch unmöglich."

Cobb versucht es. Seit 2017 fährt sie mit dem Rad zur Arbeit. Sie hat Solarmodule installiert, trocknet ihre Kleidung auf einer Wäscheleine, kompostiert ihre Abfälle und isst kein Fleisch mehr. Seither fühlt sie sich körperlich und geistig besser und ist optimistischer, dass die Menschen genug tun können, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen. Doch als sie es durchrechnete, erkannte sie: "Das alles ist sehr wenig im Vergleich zum Fliegen." Sie lehnte fortan manche Flüge ab und bot Vorträge aus der Ferne an.

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Doch dafür zahlt sie einen hohen Preis. Für 2020 hatte die Klimaforscherin eine Einladung nach San Diego. Dort sollte sie bei einer großen Konferenz der Ozeanwissenschaften als Schlussrednerin auftreten – ein Traumangebot. Cobb fragte die Organisatoren, ob sie per Videoübertragung sprechen könnte und versprach, vieles zu dem Treffen aus Atlanta beizutragen. Die Antwort war Nein, die Organisatoren zogen ihr Angebot zurück.

In einer Mail betont Brooks Hanson von der Amerikanischen Geophysikalischen Vereinigung, die die Konferenz organisiert, Vorträge per Übertragung würden unterstützt, wo immer sie möglich seien. Doch die Aufgabe des Schlussredners "erfordere persönliche Interaktionen mit den Teilnehmern, um die Atmosphäre des Treffens und der Diskussionen zu spüren".

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