Bazaar
Fataler Wandel: Amazonas wird zur Steppe – lässt er sich noch retten?
Advertisement
Advertisement

Klima

Der Amazonas verwandelt sich zur Steppe - lässt er sich noch retten?

Aerial view of a fire in the rainforest.
Werden die Bäume im Amazonas verbrannt, gelangten jährlich bis zu 200 Millionen Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre, was 734 Millionen Tonnen CO2 entspricht
(GettyImages)

Vom Amazonas-Regenwald müssen wir uns vermutlich bald verabschieden. Denn die aktuelle großflächige Entwaldung könnte die grüne Lunge der Erde im Verein mit der globalen Erwärmung in eine riesige Steppe verwandeln. Dieser Prozess geht mit einem immensen Verlust an Biodiversität einher, zugleich gelangen Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre.

Davor warnen der Biologe Thomas Lovejoy von der George Mason University und der Klimaforscher Carlos Nobre von der brasilianischen Universität São Paulo im Fachjournal „Science Advances“.

Bleiben Sie immer über auf dem aktuellsten Stand und laden Sie sich hier die kostenlose App von Weather Channel herunter.

Amazonas-Regenwald erreicht Kipppunkt

Der Kipppunkt, bei dem diese Entwicklung unumkehrbar einsetzt, ist laut Lovejoy und Notre bereits erreicht. „Der wertvolle Amazonas steht am Rand der funktionalen Zerstörung“, verlautbaren sie. „Heute stehen wir an einem schicksalhaften Moment: Der Kipppunkt ist hier, und zwar jetzt.“

An Kipppunkten gehen Ökosysteme von kritischer Bedeutung in einen neuen Zustand über, sie kippen also gleichsam um. Dabei setzen positive Rückkopplungen ein, durch die sich die Erderwärmung selbst verstärkt. Bislang haben Wissenschaftler 16 solcher Kipppunkte identifiziert, darunter auch den Amazonas-Regenwald.

2019: Abholzungsrate hat sich zum Vorjahr verdoppelt

Eine Analyse, die die Ökonomin Monica de Bolle vom Peterson Institute in Washington jüngst für das US-Repräsentantenhaus erstellte, nennt Details zu dem fatalen Wandel. Die Arbeit beruht auf Daten des brasilianischen Weltraumforschungsinstituts INPE.

Demnach dürften 2019 am Amazonas 18.000 Quadratkilometer Regenwald verschwunden sein, weil Farmer, Viehzüchter und andere Landnutzer große Flächen in Brand setzten. Damit hat sich die Abholzungsrate gegenüber dem Vorjahr ungefähr verdoppelt.

2021: Kipppunkt könnte überschritten sein

In den nächsten Jahren dürfte es noch viel schlimmer kommen: So schätzt de Bolle, dass 2020 voraussichtlich weitere 35.000 Quadratkilometer Wald fallen; 2021 könnten es sogar knapp 70.000 Quadratkilometer sein, was ungefähr der Größe Irlands entspricht.

Schrumpfe seine ursprünglichen Fläche um 20 bis 25 Prozent, könne der Amazonas-Regenwald nicht mehr genug Niederschlag erzeugen, um sich selbst zu erhalten, schreibt de Bolle. Damit komme er in gefährliche Nähe eines Kipppunkts, der 2021 überschritten werden könne.

Amazonas-Regenwald erzeugt seinen eigenen Regen

Tatsächlich erzeugen viele Regenwälder ihren eigenen Regen. In den warmen Tropen verdunstet das Wasser nach Niederschlägen rasch und steigt mit dem Nass, das die Pflanzen durch ihre Transpiration abgeben, als Dampf nach oben. Ein großer Baum entlässt so bis zu 500 Liter Wasser pro Tag in die Luft. Am Himmel kondensiert es zu Wolken, die dann über dem Wald abregnen.

Der Amazonas-Regenwald produziert auf diese Art rund 50 Prozent des dort fallenden Niederschlags.

Wald wandelt sich zur Savanne

Wie nahe der Amazonas am Kipppunkt steht, verdeutlichen folgende Zahlen: Heute ist die Region zu 17 Prozent entwaldet, doch in Brasilien ist die kritische Schwelle von 20 Prozent bereits erreicht. Dauert die alljährliche Trockenzeit dann länger als vier Monate, wandelt sich der Wald laut dem brasilianischen Forscher Nobre zur Savanne. In einigen Regionen sei dies bereits der Fall.

Wird der Kipppunkt überschritten, beginnt eine Spirale des Niedergangs. Die Regenfälle in der Region speisen den Wasserkreislauf am Amazonas und liefern das Wasser für die zahlreichen Flüsse dort. Fehlen sie, droht die gesamte Region zu versteppen. Der größte Wald unseres Planeten, der ein Fünftel aller Tier- und Pflanzenarten beherbergt, wäre dann endgültig und unwiederbringlich verloren.

Seit 1980er-Jahre: Regenfälle sanken um 25 Prozent

Offenbar hat dieser Prozess bereits begonnen. In einer groß angelegten Studie, für die 100 Biologen den Einfluss der Erderwärmung auf die Vegetation am Amazonas untersuchten, stellte sich heraus, dass die Regenfälle im Süden des Gebiets seit Ende der 1980er-Jahre um 25 Prozent sanken.

Zudem herrschten dort in den Jahren 2005, 2010 und 2015/2016 drei extreme Dürren. „Die Reaktion des Ökosystems hält mit dem Klimawandel nicht Schritt“, konstatiert Studienleiterin Adriane Muelbert von der britischen Universität Leeds.

„Die Daten zeigen, dass es in den untersuchten Gebieten immer weniger von Feuchtigkeit abhängige Bäume gibt. Die an Dürre angepassten Bäume schaffen es jedoch nicht, diese Lücken zu füllen.“

Amazonas als „Kohlenstoffbombe“

Diese Entwicklung droht in eine fatale Rückkopplungsschleife zu münden. Seit vorindustrieller Zeit hat sich die Erde um ein Grad Celsius erwärmt. In Brasilien stieg die Durchschnittstemperatur jedoch um 1,5 Grad, im südlichen Amazonasgebiet sogar um drei Grad. Der Niedergang des Walds beschleunigt nun die Erwärmung.

Advertisement

Davon ist die gesamte Menschheit betroffen. Denn seine Bäume speichern 60 bis 80 Milliarden Tonnen CO2. „Der Amazonas gilt als grüne Lunge der Welt, doch das ist falsch“, bemerkt die US-Forscherin de Bolle. „Er speichert zwar Kohlenstoff, doch das bekämpft den Klimawandel nicht.“

Stattdessen stelle er eher eine „Kohlenstoffbombe“ dar. Werden die Bäume verbrannt, wie dies gegenwärtig in großem Stil geschieht, gelangten jährlich bis zu 200 Millionen Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre, was 734 Millionen Tonnen CO2 entspricht.

Ziele des Pariser Klimaabkommens lassen sich kaum einhalten

Die im Klimaabkommen von Paris von 2915 vereinbarten Ziele wären damit nicht einzuhalten. Darin verpflichteten sich die Vertragsstaaten, Maßnahmen gegen die Erderwärmung zu ergreifen, sodass diese zwei Grad Celsius nicht übersteigt und möglichst sogar unter 1,5 Grad bleibt.

Dazu dürften nur noch 500 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangen, doch bei den heutigen Emissionen wäre dieses Budget bereits in zwölf Jahren erschöpft.

Amazonasbecken als Quelle für Reichtum

In ihrer Analyse benennt de Bolle die Ursache der Misere: Ihr liege „ein langjähriges Versagen der Regierungspolitik Brasiliens“ zugrunde, das jüngst kulminierte, weil die aktuelle Regierung die Institutionen und Behörden, die für den Schutz des Walds zuständig sind, absichtlich schwächte.

Diese Entwicklung hat einen Namen: Brasiliens ultrarechter Präsident Jair Bolsonaro. Ihm gilt das Amazonasbecken vor allem als gigantische Quelle für Reichtum, etwa durch den Betrieb von Minen, in denen Metalle gefördert werden, aber auch Gold. Unter den Bäumen liegen geschätzt 2400 Tonnen des Edelmetalls, was über 4,4 Prozent der weltweit bekannten Reserven entspricht.

Rodung dürfte der brasilianischen Wirtschaft schaden

Um die Bodenschätze zu erschließen, werden Straßen, Landepisten sowie Häfen gebaut, und Bolsonaros Regierung verkleinerte dafür 60 Schutzgebiete, um ihre Ausbeutung zu ermöglichen.

Dabei dürfte die großflächige Rodung der brasilianischen Wirtschaft langfristig gewaltig schaden. Denn mit dem Rückgang der Niederschläge sinkt die Bodenfruchtbarkeit und damit die landwirtschaftlichen Erträge.

Wie die Washingtoner Expertin de Bolle ausrechnete, könnte dies Bauern und Rinderzüchter 400 Millionen Dollar pro Jahr kosten, was den kurzfristigen Gewinn durch die Waldzerstörung weit übersteigt.

Intakter Wald würde Landwirtschaft und Viehzucht weiter ermöglichen

Dagegen würde es sich lohnen, den Wald zu bewahren. In einer 2018 erschienenen Studie erklärten US-Forscher, ein intakter Wald könne Güter wie Nüsse und Gummi liefern. Weil der Wasserkreislauf erhalten bliebe, seien auch Landwirtschaft und Viehzucht weiter möglich, ebenso die Nutzung von Wasserkraft.

Dies erbringe gegenüber einem zerstörten Wald einen Gewinn von acht Milliarden Dollar pro Jahr.

Forscher glauben noch an die Rettung des Amazonas

Gerade die internationale Aufmerksamkeit, die das Abfackeln des Waldes in diesem Jahr erregte, biete dazu eine Chance, argumentiert de Bolle. Sie könnte dazu beitragen, dass Brasilien wie die USA den Klimawandel nicht länger leugnen und gemeinsam Wege entwickeln, um den Wald zu erhalten und nachhaltig zu nutzen.

Auch die Forscher Lovejoy und Nobre glauben, dass der Wald noch zu retten ist. Dazu müssten aufgelassene Weiden und Ackerflächen, die 23 Prozent der abgeholzten Flächen ausmachen, zügig aufgeforstet werden. „Wir sind Wissenschaftler, die den Amazonas und seine wunderbaren Schätze jahrzehntelang studierten“, schreiben sie.

„Die Völker und Führer der Amazonas-Staaten haben die Macht, ein globales Umweltdesaster zu verhindern. Wir brauchen den Willen und die Imagination, die Richtung zugunsten eines nachhaltigen Amazoniens zu ändern.“

Lesen Sie auch:

Kippt unser Klima früher als gedacht?

Amazonas am Scheideweg: Die Entwaldung schreitet voran

Advertisement
Hidden Weather Icon Masks
Hidden Weather Icon Symbols