"Spirale des Niedergangs": Regenwälder sind keine Klimaretter mehr - sogar im Gegenteil | The Weather Channel
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"Spirale des Niedergangs": Regenwälder sind keine Klimaretter mehr - sogar im Gegenteil

Javari river shot from drone during sunset
Der Amazonas-Regenwald hat einen Kipppunkt erreicht
(Getty Images)

Die tropischen Regenwälder gelten als die „grünen Lungen“ der Erde. Bislang erfüllten sie diese Funktion analog zu dem Organ im menschlichen Körper: Sie tauschen das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) gegen Sauerstoff aus. Dabei nahmen sie zuverlässig große Mengen an CO2 aus der Atmosphäre auf und bremsten so den Anstieg der Erdtemperatur. Sie fungierten also als sogenannte Kohlenstoffsenke.

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Ökosystem geht in einen neuen Zustand über

Jetzt fanden gleich mehrere Forschergruppen heraus, dass einige der größten tropischen Waldgebiete diese Funktion nicht nur verloren, sondern sie gleichsam umkehrten: Sie geben CO2 ab und werden so zu einer Quelle des Gases. Damit haben sie einen jener Kipppunkte erreicht, vor denen die Klimaforscher schon lange warnen.

An Kipppunkten gehen Ökosysteme von kritischer Bedeutung in einen neuen Zustand über, sie kippen also gleichsam um. Dabei setzen positive Rückkopplungen ein, durch die sich die Erderwärmung selbst verstärkt. Bislang haben Wissenschaftler 15 solcher Kipppunkte identifiziert, darunter in erster Linie den Amazonas-Regenwald.

Beschleunigung der globalen Erwärmung

Dieses größte zusammenhängende Regenwaldgebiet der Welt ließ diesen Punkt offenbar schon hinter sich, wie gleich mehrere Studien belegen. So nahm die Atmosphärenchemikerin Luciana Gatti vom Instituto de Pesquisas Energéticas e Nucleares in São Paulo den südostlichen Teil des Gebiets unter die Lupe.

Zehn Jahre lang hatte sie mit Flugzeugen dort Luftproben gesammelt, um deren CO2-Gehalt zu bestimmen. „Vielleicht zum ersten Mal in Tausenden von Jahren schaltete der Amazonas von der Absorption von CO2 aus der Luft um auf eine Quelle, was die globale Erwärmung beschleunigt“, zitiert das Umweltmagazin Environment360 der US-Amerikanischen Yale University aus Gattis fertiggestellter, aber noch unveröffentlichter Studie. „Wir haben einen Kipppunkt erreicht.“

Amazonas-Regenwald als CO2-Quelle statt Senke

Die Messungen Gattis stammten somit überwiegend aus der Zeit vor dem Jahr 2019, in dem verheerende Feuersbrünste riesige Waldflächen vernichteten. Folglich dürften sich die CO2-Emissionen seither noch verstärkt haben.

In einer früheren Untersuchung, die im Wissenschaftsjournal „Nature“ erschien, hatte die brasilianische Forscherin berichtet, dass der Wald in regenreichen Jahren CO2-neutral war, in trockenen Jahren aber zur CO2-Quelle wurde. Jetzt spielten die Niederschläge keine Rolle mehr, und auch die Waldbrände nicht – der Amazonas war endgültig von der Senke zu einer Quelle geworden.

Überdies deutet ihre Analyse im Verein mit weiteren Untersuchungen darauf hin, dass dies über den Südosten des Gebiets hinaus für den gesamten Amazonas-Regenwald gilt. „Jedes Jahr wird es schlimmer“, sagt Gatti. „Wir müssen die Entwaldung stoppen, während wir Gegenmaßnahmen entwickeln.“

50 Milliarden Tonnen Kohlenstoff

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Der Klimaforscher Carlos Nobre von der brasilianischen Universität São Paulo hat ausgerechnet, was das für die Erderwärmung bedeuten könnte: Demnach setzt der restliche Amazonas-Regenwald in den kommenden 30 Jahren rund 50 Milliarden Tonnen Kohlenstoff frei, was den industriellen und verkehrsbedingten Emissionen von fünf Jahren entspricht.

Afrikanische Wälder werden ebenso zu CO2-Quellen

Auf dem gegenüberliegenden Kontinent, nämlich in Afrika, kippen die Wälder ebenfalls von CO2-Senken zu Quellen. Dort vollzieht sich der Wandel jedoch anders, berichtet der Tropenökologe Wannes Hubau von der belgischen Universität Gent ebenfalls in „Nature“.

„Die Kohlenstoffsenke in intakten tropischen Wäldern Afrikas war bis 2015 drei Jahrzehnte lang stabil und absorbierte 0,66 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar und Jahr“, heißt es darin. „Ab 2010 stiegen in unseren besonders intensiv überwachten Messflächen die Kohlenstoffverluste jedoch deutlich an.“

Ursache: Stetiges Absterben von Bäumen

Dabei ergab sich ein Unterschied zum Amazonas: Dort vollzog sich der Wandel zunächst langfristig und langsam, bedingt durch ein stetiges Absterben von Bäumen. Ein statistisches Modell zeige jedoch, so Hubau, dass sich die Senke in Afrikas Wäldern nur langsam verstärkt, in Amazonien wegen zunehmender Trockenheit jedoch sehr schnell.

Höhepunkt der Kohlenstoffaufnahme in den 1990er Jahren

Insgesamt habe die Kohlenstoffaufnahme durch die Wälder der Erde in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreicht, wobei die Wälder außerhalb der Tropen weiterhin als Senken fungierten. Bis dahin hatten sie rund 15 Prozent der anthropogenen CO2-Emissionen aus der Luft geholt.

Böden und Ozeane absorbieren die Hälfte des CO2

Diese Prozesse haben großen Einfluss auf die künftige Entwicklung des Klimas unseres Planeten. Die Landmassen samt der Böden sowie die Ozeane absorbieren jeweils rund die Hälfte des vom Menschen in die Atmosphäre emittierten CO2. Ohne diese Senken hätte sich die Erde durch die Treibhausgase doppelt so stark erwärmt wie die gemessenen 1,1 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit.

Herausragende Bedeutung für den Amazonas-Regenwald

Das bedeutet auch, dass ohne die Senken das von der Weltgemeinschaft im Klimaabkommen von Paris beschlossene Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad – und möglichst auf nur 1,5 Grad – zu begrenzen, nicht erreicht werden kann.

In dieser Hinsicht hat der Amazonas-Regenwald eine herausragende Bedeutung. Nachdem der Kipppunkt überschritten ist, beginnt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Spirale des Niedergangs. Die Regenfälle in der Region speisen den Wasserkreislauf am Amazonas und liefern das Wasser für die zahlreichen Flüsse dort.

Fehlen sie, droht die gesamte Region zu versteppen. Der größte Wald unseres Planeten, der ein Fünftel aller Tier- und Pflanzenarten beherbergt, wäre dann endgültig und unwiederbringlich verloren.

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