"Gesteigert gefährlich"? Wenn Hunde zum Wesenstest müssen | Weather.com
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"Gesteigert gefährlich"? Wenn Hunde zum Wesenstest müssen

15.11.2024, Hessen, Gießen: Australian-Shepherd-Hündin Smilla musste einen Wesenstest für Hunde gemäß HundeVO absolvieren. Hier geht sie mit ihrer Während eines praktischen Teils der Sachkundeprüfung führt die Hundehalterin den Hund an der Leine. Eine sachverständige Person protokolliert dabei die Leinenführigkeit und ob vom Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
(Foto: Christian Lademann/dpa)

Wenn Sandra Klos ihren Australian Shepherd Smilla zu sich ruft, folgt die Hündin aufs Wort. Sie begrüßt auch Fremde freundlich und legt sich sogar auf den Rücken, um sich streicheln zu lassen. Wie ein gefährlicher Hund wirkt Smilla nicht, und doch wurde die Hündin vor einigen Monaten so eingestuft. Der Anlass: Eine Katze aus der Umgebung muss mit einer unklaren Verletzung beim Tierarzt behandelt werden - und der Verdacht fällt auf Smilla.

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Klos ist davon überzeugt, dass ihre Hündin der Katze nichts zuleide getan hat, muss aber mit ihr zum Wesenstest - eine nervenaufreibende Sache für die ganze Familie, die im schlimmsten Fall mit dem Entzug und der Tötung von Smilla hätte enden können.

Von Hunden darf keine Gefahr ausgehen

Grundlage für den Wesenstest ist die seit dem Jahr 2000 geltende hessische Hundeverordnung. Demnach müssen alle Hunde so gehalten werden, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht. Einen Wesenstest müssen demnach nicht nur alle Hunde durchlaufen, die wegen ihrer Rasse als gefährlich gelten, sondern auch diejenigen, die wegen ihres Verhaltens so eingestuft wurden.

Anlässe können sein, dass ein Hund gebissen oder einen Menschen "in Gefahr drohender Weise" angesprungen hat, aber auch, dass angenommen werden muss, dass der Hund Menschen oder Tiere "ohne begründeten Anlass" beißen könnte.

Gutachterin: "Es kann jeden treffen."

Dass Behörden grundsätzlich in solchen Fällen einschreiten, leuchtet ein - im Alltag gibt es aber immer wieder Situationen, die Auslegungssache sind. Tierärztin Steffi Schmidt aus Gießen fungiert als Gutachterin bei Wesenstests und musste auch schon Hunde prüfen, die wegen Bagatellvorfällen bei den Ordnungsämtern gemeldet wurden.

"Das kann jeden treffen", sagt Schmidt. Nur selten habe sie es mit wirklich aggressiven Tieren zu tun, oft führten rassetypisches Verhalten, gepaart mit Unachtsamkeit der Besitzer, zu Problemen.

Schmidt sieht auch die umstrittene hessische Liste gefährlicher Hunderassen kritisch und fordert deren Abschaffung, zumindest aber eine Aktualisierung der Liste mit Streichung mehrerer Rassen. Eine höhere Gefährlichkeit der darin zu findenden Hunderassen habe sich statistisch nicht nachweisen lassen. Vielmehr werde der allergrößte Teil der Beißvorfälle von Hunderassen verursacht, die nicht auf der Liste stünden.

Ministerium: Hundeführerschein für alle kostspielig und aufwendig

Ähnlich sieht das auch Hundetrainerin Salena Maue. Etwa 20 Hunde mit ihren Haltern bereitet sie pro Jahr auf den Wesenstest vor und weiß aus Erfahrung: Es sind nur selten Listenhunde, die verhaltensauffällig werden - häufiger hat sie es mit Hütehunden zu tun. Grundsätzlich wüssten zu viele Menschen zu wenig über ihre Tiere und deren Bedürfnisse. Statt weiter auf die Rasseliste zu setzen, solle Hessen deshalb endlich einen Hundeführerschein für alle Hundehalter einführen.

Im hessischen Innenministerium will man trotzdem an der derzeitigen Praxis festhalten. Ein Hundeführerschein für alle würde hohe Kosten und einen zu großen Verwaltungsaufwand bedeuten, erklärt das Ministerium. Der geringe Anteil der Listenhunde an Beißvorfällen von nur gut sieben Prozent zeige, dass die Liste ihren "Hauptzweck" erfülle, nämlich die Gefahren zu minimieren, die von Listenhunden ausgehen.

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Insgesamt 385 durch Hunde verletzte Personen registrierte das Ministerium für das vergangene Jahr - so viele wie nie zuvor seit Inkrafttreten der Hundeverordnung. Insgesamt seien es seit damals 6.394 Menschen gewesen.

Wesenstests bedeuten große Anspannung für Hundehalter

Doch längst nicht bei allen registrierten Vorfällen habe ein Hund wirklich zugebissen, weiß Schmidt aus ihrer Gutachtertätigkeit. Auch wenn ein Mensch Anzeige erstattet, der einen leichten Kratzer durch eine Hundepfote beim Anspringen davongetragen hat, gehe er als schon als Verletzter in die Statistik ein.

Viele Hundebesitzer lebten danach monatelang in der Angst, dass ihnen ihre Tiere weggenommen werden und nähmen unter höchster Anspannung an den Wesenstests teil.

"Freispruch" erst nach Jahren möglich

Die Tierärztin findet es durchaus richtig und notwendig, Hunde genauer anzuschauen, wenn sie problematisches Verhalten zeigen. Sie ist aber für eine faire Begutachtung und sieht kritisch, dass die Vierbeiner für Jahre den Stempel "gefährlicher Hund" tragen müssen, auch wenn sich dies im Test gar nicht nachweisen lasse.

Ein "Freispruch" von dieser Einstufung ist nämlich erst nach mindestens drei Jahren ohne Auffälligkeiten und mit einem erneuten Wesenstest möglich. In dieser Zeit können je nach Kommune deutlich erhöhte Hundesteuern sowie Auflagen verhängt werden.

Mehrteilige Wesenstests

Die Wesenstests bestehen aus mehreren Teilen. Nach einem Vorbericht wird das Tier vermessen und der Mikrochip ausgelesen. Dabei soll sich der Hund anfassen und streicheln lassen. Dann wird geprüft, wie er sich in Alltagssituationen verhält - also in Stadt und Straßenverkehr, bei der Begegnung mit Kindern, Joggern, Fußgängern oder Radfahrern.

Im letzten Prüfungsteil stellt Schmidt den Hund durch Drohfixieren, Stolpern in unmittelbarer Nähe und ähnliche Aktionen auf die Belastungsprobe. Dabei darf der Hund allenfalls ein der Situation angepasstes Drohverhalten zeigen - aber eben auch nicht mehr.

Fünf Hunde 2023 in Hessen wegen Verhaltens eingeschläfert

Fällt ein Hund beim Wesenstest durch, nimmt das Ordnungsamt den Vierbeiner in der Regel noch am gleichen Tag mit - dann ist vorgesehen, dass der Hund eingeschläfert wird. Das war laut Innenministerium hessenweit bei fünf Hunden im vergangenen Jahr der Fall. Häufig versuchen die Besitzer in solchen Fällen, Wiederholungstests vor Gericht zu erwirken.

Smilla hat ihren Verhaltenstest zur Erleichterung ihres Frauchens mit Bravour gemeistert. Selbst von einem Besuch im Katzenhaus des Gießener Tierheims ließ sich die Australian-Shepherd-Hündin, die sogar eine Therapiehundeausbildung habe, nicht aus der Ruhe bringen.

Klos ist auch davon überzeugt, dass sie den in zwei Jahren fälligen nächsten Wesenstest problemlos bestehen und das Etikett "gefährlich" wieder abstreifen kann. "Der Hund ist ein Schätzchen", sagt Klos. Umso weniger Verständnis hat sie für die behördlichen Maßnahmen, die sie schon bisher rund 1.000 Euro gekostet hätten.

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