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Umwelt

Umweltschutz: Erstmals wird ein Amazonas-Fluss als Person anerkannt

Der Komi Memem ist die Lebensader der Oro Waram. Foto: Andre Penner/AP
Der Komi Memem ist die Lebensader der Oro Waram.
(Andre Penner/AP)

Auf Initiative eines Anführers der Ureinwohner hat eine Stadt im Amazonas eine besondere Maßnahme zum Schutz der natürlichen Umwelt ergriffen: Per Gesetz wurde festgelegt, dass der Rio Komi Memem wie ein lebendiges Wesen mit umfassenden Rechten zu behandeln ist.

Am Ufer des Flusses Komi Memem ist immer etwas los. Die Frauen des Dorfes Laje Velho waschen dort Kleidung, während die Männer mit kleinen Kanus zu Jagd- und Angelausflügen aufbrechen. Am Abend sind die Kinder dran – ausgelassen spielen und tauchen sie im Wasser. Der kleine Strom, der auf nicht-indigenen Karten Rio Laje heißt, ist die Lebensader der Oro Waram, einer von sechs Untergruppen des Volkes Wari.

Seit Jahrhunderten bewohnen die Oro Waram das Gebiet im brasilianischen Amazonas-Gebiet, nicht weit von der bolivianischen Grenze entfernt. Und seit Jahrhunderten pflegen sie eine enge Beziehung zum Komi Memem. Doch der Fluss ist zunehmend bedroht – und damit auch die Lebensart des kleinen Volkes. Die illegale Abholzung der umliegenden Wälder schreitet voran. Immer größere Flächen werden für den Anbau von Sojabohnen oder als Weideland genutzt.

Aktivisten hoffen auf eine Signalwirkung

Um sich zu schützen, probieren es die Wari inzwischen mit einer neuen Strategie: Sie setzen auf die Gesetze der Weißen. Im Juni verabschiedete die Gemeinde Guajará-Mirim ein von einem indigenen Ratsmitglied eingebrachtes Gesetz. Dieses verleiht dem Komi Memem und seinen Zuflüssen den Status einer Person. Damit einhergehend sind Rechte wie der Erhalt der natürlichen Flussläufe sowie der Schutz des in dem Gebiet liegenden Waldes.

Der Komi Memem ist der erste der vielen Hundert kleinen und größeren Flüsse im brasilianischen Amazonas-Gebiet, der nun einen solchen Status genießt. Aktivisten hoffen auf eine Signalwirkung. Zumal in diesen Tagen, wo gerade Vertreter von acht südamerikanischen Staaten in Brasilien auf einer Amazonas-Konferenz darüber diskutieren, wie das riesige und für das globale Klima so enorm wichtige Regenwald-Gebiet besser geschützt werden kann.

„Wir können nicht mit Pfeilen kämpfen; wir müssen Gesetze nutzen“

„Wir arbeiten weiter daran, uns gut aufzustellen, um Eindringlinge abzuwehren“, sagt Francisco Oro Waram, der Mann hinter dem neuen Gesetz, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. „Wir können nicht mit Pfeilen kämpfen; wir müssen gesetzliche Regelungen nutzen.“

Der als Lehrer arbeitende Oro Waram lebt mit seiner Familie in dem Dorf Laje Velho. Um von dort in die Stadt Guajará-Mirim zu gelangen, fährt man mit dem Auto etwa 40 Minuten auf einer Straße, die überwiegend von Weideland gesäumt ist. Unmittelbar vor dem Ortseingang sind ebenfalls schon schwere Maschinen dabei, das Gelände für eine landwirtschaftliche Nutzung vorzubereiten.

Wari lebten bis Ende der 50er-Jahre isoliert

„Es werden noch viele Generationen kommen, also schützen wir Älteren das Wasser“, sagt Oro Waram. „Wir verschmutzen es nicht und fällen nicht die Bäume, die in der Umgebung stehen.“ Für ihn und sein Volk sei der Fluss „ein lebendes Wesen“.

Auf Satellitenbildern ist zu erkennen, wie das rechteckige Indigenen-Gebiet Igarapé Lage von Agrarland umzingelt ist. Die Wari lebten bis Ende der 50er-Jahre ganz für sich. In den ersten paar Jahren nach dem Kontakt mit der Außenwelt starben drei Fünftel des Volkes an eingeschleppten Krankheiten. Zwischenzeitlich zählte es kaum noch 400 Angehörige. Heute gibt es etwa zehnmal so viele Wari. Diese leben nach Angaben der US-Anthropologin Beth Conklin aber auf weniger als einem Drittel ihrer ursprünglichen Fläche.

Illegale Rodungen und Landdiebe erschweren den Wari das Leben

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Die Beziehung zum Nicht-Menschlichen spiele in der Kultur der Wari eine wichtige Rolle, sagt die Forscherin von der Vanderbilt University in Nashville im US-Staat Tennessee, die sich seit fast vier Jahrzehnten mit dem kleinen Volk im brasilianischen Amazonas-Gebiet beschäftigt. „Das neue Gesetz ist also eine Art Anpassung ihrer sehr traditionellen sozialen, biologischen und ökologischen Werte an das 21. Jahrhundert“, sagt Conklin.

Die Ausdehnung des Sojaanbaus, der mit starkem Einsatz von Pestiziden einhergeht, ist nur eine der Bedrohungen für die Wari und den Komi Memem. Stromaufwärts von Laje Velho haben Landdiebe den Ureinwohnern den Zugang zu wichtigen Fischfanggebieten versperrt. Auch das Quellgebiet des Flusses, das eigentlich unter Naturschutz steht, ist in den vergangenen paar Jahren zum Teil illegal gerodet worden.

Ehemaliger Präsident Jair Bolsonaro legalisierte Landraub

Die Politik hat lange nichts dagegen getan. Im Gegenteil: Der Gouverneur des Staates Rondônia, Marcos Rocha, der als Verbündeter des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro gilt, ließ die Landdiebe nicht vertreiben, sondern verkleinerte 2021 per Gesetz die Fläche des Nationalparks und legalisierte damit den Landraub. Das Gesetz wurde zwar später durch gerichtliche Anordnung außer Kraft gesetzt. Aber die Abholzung konnte bis heute nicht gestoppt werden.

Die Folgen sind für die Wari gravierend. Oro Waram sagt, wegen der Verschmutzung durch Rinderfarmen und den Sojaanbau könne das Wasser des Flusses in seinem Dorf nicht mehr als Trinkwasser genutzt werden. Im Juni gab es sogar einen bewaffneten Überfall auf ein Dorf der Ureinwohner in dem Gebiet.

„Wir sind sehr zufrieden mit dem Gesetz“

Die Wari hoffen, dass mit dem neuen Gesetz, das den Fluss als Person anerkennt, auch etwas gegen die Untätigkeit der Behörden getan werden kann. Kern des Gesetzes ist die Bildung eines Komitees, das die Belange des Flusses im Blick behält. Dieses soll sowohl indigene als auch nicht-indigene Mitglieder haben, inklusive Vertreter der Universität des Staates Rondônia. Jedes Jahr soll das Komitee einen Bericht zum Zustand des Komi Memem und mit Vorschlägen zur Wahrung der Rechte des Flusses veröffentlichen.

„Wir sind sehr zufrieden mit dem Gesetz“, sagt Raissa Paes Bento, die Bürgermeisterin von Guajará-Mirim. Die etwa 40.000 Einwohner zählende Stadt sei damit „ein Vorbild für andere Städte und indigene Gebiete“.

Die Politikerin betont, dass der Schutz des Flusses auch für nicht-indigene Bewohner wichtig sei, vor allem wegen der Fischerei, die in der Region wesentlich zur Ernährung beitrage. „Es ist sehr gut, wenn er geschützt wird und sauber ist.“

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