Wattenmeer ist seit 15 Jahren Welterbe: Ist der Titel in Gefahr? | Weather.com
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Wattenmeer ist seit 15 Jahren Welterbe: Ist der Titel in Gefahr?

15.05.2024, Schleswig-Holstein, Nordstrand: Forschende des Archäologischen Landesamtes, des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie sowie der Kieler und der Mainzer Universität stehen an einer Ausgrabungsstelle im Watt. Aufgrund der geologischen und ökologischen Bedeutung wurden im Jahr 2009 große Teile des deutschen und niederländischen Wattenmeeres in das Weltnaturerbe der UNESCO aufgenommen.
(Frank Molter/dpa)

Für Niederländer, Dänen und Norddeutsche beginnt das Weltwunder direkt vor der Haustür - auch wenn es mehr ein Wunder auf den zweiten Blick ist. Denn zunächst wirkt das Wattenmeer, das sich vom niederländischen Den Helder über mehr als 500 Kilometer Küstenlinie bis ins dänische Esbjerg erstreckt, öde und leblos. Doch der Eindruck täuscht.

Die grau-braune Wildnis mit Schlick- und Sandwatt, die durch den steten Wechsel von Ebbe und Flut entsteht, ist eine der ökologisch wertvollsten Regionen der Erde. Millionen Zugvögel rasten dort auf ihrem Weg von den arktischen Brutgebieten in die Winterquartiere in Afrika. Entlang der Küste von Dänemark, Deutschland und den Niederlanden finden sie reichlich Wattwürmer, Muscheln und Algen als Nahrung.

Dass das Wattenmeer von "außergewöhnlichem universellem Wert" ist, erkannte auch die UN-Kulturorganisation Unesco 2009. Seitdem gehört der Lebensraum nicht nur zu den drei Weltnaturerbstätten, die es hierzulande gibt. Es steht damit auch auf einer Liste etwa mit dem Great Barrier Reef vor der australischen Ostküste und dem Grand Canyon in den USA.

Welterbestatus wie eine "Goldmedaille im Naturschutz"

Um als Welterbe ausgezeichnet zu werden, muss ein Auswahlkriterium erfüllt sein. Das Wattenmeer punktete gleich dreimal: Unter anderem wegen der geologischen und ökologischen Bedeutung wurden am 26. Juni 2009 große Teile des deutschen und niederländischen Wattenmeeres in das Unesco-Weltnaturerbe aufgenommen. 2011 wurde die Liste um das Hamburgische Wattenmeer erweitert, 2014 kam das dänische Wattenmeer hinzu. Es muss für heutige und künftige Generationen erhalten werden.

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Beim Schutz des Wattenmeeres arbeiten Dänemark, Deutschland und die Niederlande schon seit 1978 zusammen - allerdings ohne eine rechtlich bindende Vereinbarung. Die Aufnahme in die Weltnaturerbe-Liste sei von den Staaten als "Goldmedaille im Naturschutz" angesehen worden, sagt Sascha Klöpper, seit kurzem neuer Exekutivsekretär des Gemeinsamen Wattenmeersekretariats in Wilhelmshaven, das die Zusammenarbeit der Anrainer koordiniert.

Durch den Status sei das Ansehen des Wattenmeeres gestiegen, sagt Hans-Ulrich Rösner vom Wattenmeerbüro des WWF. Es gebe reale Verbesserungen im Naturschutz und auch indirekten Verbesserungen. "Beim Weltnaturerbe ist es so, dass es moralisch schon eine sehr hohe Kategorie ist." Entscheidungen, die dem Wattenmeer schaden könnten, würden dadurch erschwert. Diesen Effekt könne man ganz deutlich sehen.

Warnschuss der Unesco wegen Öl- und Gasförderung

Doch nach 15 Jahren Welterbe-Titel droht dem Wattenmeer ein herber Rückschlag. Rohstoffe wie Öl, Erdgas und Salz am Rande des Gebiets oder sogar innerhalb des Wattenmeeres zu fördern, sei nicht mit dem Welterbestatus vereinbar, machte die Welterbe-Kommission der Unesco im vergangenen September deutlich.

Die Unesco forderte daher die Anrainerstaaten auf, von Probebohrungen und neuen Rohstoffgewinnungen abzusehen. Außerdem sollten beim Bau neuer Stromleitungen für Offshore-Windparks Schutzmaßnahmen getroffen werden, mahnte die Unesco. "Das war ein ziemlicher Warnschuss", findet WWF-Wattenmeerexperte Rösner.

"Wir stehen aber vor einem Dilemma", erklärt Klöpper vom Wattenmeersekretariat. "Einerseits soll die Energiewende vorangetrieben werden, die ja notwendig ist, um Effekte des Klimawandels zu verlangsamen. Das bedeutet aber auch, dass neue Strukturen geschaffen werden müssen." Dazu zählten etwa die Stromkabel durch das Wattenmeer. "Da wird versucht, Lösungen zu finden, dass der Einfluss auf den Naturraum so wenig wie möglich ist. Aber natürlich sind das Baustellen."

Hoffnung macht Umweltschützern, dass zumindest die deutsche Ölförderung im Wattenmeer spätestens 2041 enden wird. Dann läuft die Lizenz für die Bohr- und Förderinsel Mittelplate am Rand des Nationalparks Wattenmeer endgültig aus, wie seit kurzem klar ist. Seit 1987 wird dort Öl in der Nordsee gefördert.

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Dänemark hat unterdessen das Vorhaben auf Eis gelegt, vor der Insel Rømø rund 450 Meter hohen Testwindräder ins Meer zu stellen. An anderer Stelle werden Pläne noch vorangetrieben: Um eine geplante Erdgasförderung vor den Wattenmeerinseln Schiermonnikoog und Borkum nahe dem Nationalpark wird heftig gestritten - eine finale Entscheidung steht noch aus.

Fischer sehen sich als Teil des Weltnaturerbes

Nicht nur zahlreiche Tier- und Pflanzenarten leben von und im Wattenmeer. Auch für den Menschen ist es ein wichtiger Lebens- und Erholungsraum, der mit dem Welterbestatus noch an Renommee gewonnen hat. Jedes Jahr kommen Tausende Touristen an die Küsten, um das Wattenmeer zu besuchen - besonders die Insulaner wiederum leben vom Tourismus.

Von und mit dem Wattenmeer leben auch die Krabben- und Muschelfischer. Der Titel Weltnaturerbe sei auch eine Auszeichnung für die Fischerei, sagt Gerold Conradi, zweiter Vorsitzender des Landesfischereiverbandes Weser-Ems. "Für uns ist die Auszeichnung sehr gut", sagt der langjährige Fischer. Denn der Fischerei, die es schon lange vor dem Welterbetitel im Wattenmeer gegeben habe, gewähre die Auszeichnung auch eine Art Bestandsschutz - gerade in Zeiten, in denen von verschiedenen Seiten eine nachhaltigere Fischerei im Wattenmeer gefordert werde.

Besonders ein zuletzt von der EU-Kommission angekündigter Aktionsplan hänge noch immer wie ein "Damoklesschwert" über den Fischern, sagt Conradi. Der Plan sieht vor, dass die Fischerei mit Grundschleppnetzen, also Netzen, die den Meeresgrund berühren, in Schutzgebieten spätestens 2030 unzulässig wird - auch im Wattenmeer. Aus Sicht der Krabbenfischer kommt dies einem Berufsverbot gleich. Die Krabbenfischerei im Wattenmeer sei bereits nachhaltig und etwa durch das MSC-Siegel zertifiziert, sagt Conradi.

Über allem steht der Klimawandel

Neben der menschlichen Nutzung der Nordsee schwebt über dem Weltnaturerbe-Titel eine menschengemachte Gefahr: Folgen der Klimaveränderung an Land und auf See verändern zunehmend auf verschiedenen Ebenen das Ökosystem im Weltnaturerbe. Zu diesem Ergebnis kam ein Anfang dieses Jahres veröffentlichter neuer Qualitätsstatusbericht, den das Wattenmeersekretariat veröffentlichte.

"Beispiellose Veränderungen" seien seit der Veröffentlichung des vergangenen Statusberichtes 2017 im Wattenmeer zu beobachten gewesen, sagte damals die Hauptautorin des Berichts, Katja Philippart, Wissenschaftlerin am Königlichen Niederländischen Institut für Meeresforschung. Sie zählte dazu etwa ein Massensterben von Herzmuscheln infolge einer Hitzewelle 2018 sowie den Anstieg des Meeresspiegels.

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