Samenernte in 40 Meter Höhe: So entsteht der Wald der Zukunft

Die Fichte hat es an vielen Standorten schwer oder sie ist schon abgestorben. Andere Baumarten kommen mit Trockenphasen besser zurecht. Deshalb wird Samen gesammelt. Auch in schwindelerregender Höhe.

27.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: Der Forstwirt Marvin Eichelmann von Wald und Holz NRW steht zur Samenernte in den Wipfeln einer Weißtanne und erntet die reifen Zapfen (Luftaufnahme mit einer Drohne). (Guido Kirchner/dpa)
27.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: Der Forstwirt Marvin Eichelmann von Wald und Holz NRW steht zur Samenernte in den Wipfeln einer Weißtanne und erntet die reifen Zapfen (Luftaufnahme mit einer Drohne).
(Guido Kirchner/dpa)

Wer an den Samen der Tanne herankommen will, der muss in die Baumwipfel bis ganz nach oben steigen. Wie Alexander Wieners und Marvin Eichelmann. Die jungen Forstwirte sind als Zapfenpflücker im Eggegebirge im Einsatz, ganz im Osten von Nordrhein-Westfalen. Bei ihrer Tätigkeit geht es darum, die Grundlage für den Wald der Zukunft zu ernten. Während die ungeöffneten Tannenzapfen in diesem Waldstück mühsam in schwindelerregender Höhe eingesackt werden müssen, ist es andernorts leichter, Samen zu sammeln - etwa im Spessart in Bayern, wo das Eichelsammeln eine lange Tradition hat.

Das Zapfenpflücken ist eine Wissenschaft für sich. Alexander Wieners steht am Fuß einer Tanne. Erst einmal muss ein Kletterseil hoch im Baum festgemacht werden. Mit einer Art XXL-Katapult peilt Wieners die Krone des mächtigen Baumes direkt vor ihm an. Sein Ziel ist ein Ast, der sein Gewicht tragen kann. „Der muss grün sein, der muss fix sein, dem muss man vertrauen.“

Im besten Fall schießt Wieners zunächst eine dünne Schnur über mehrere Äste nah am Stamm. Wenn das klappt und das Gewicht an der Schnur wieder am Boden landet, wird daran ein dickes rotes Kletterseil nachgezogen und unten festgemacht. Es kann eine Stunde dauern, bis alles passt. Auch der erste Schuss kann ausreichen. Bei diesem Baum aber nicht.

Proviant und Wasser müssen mit

An der Tanne nebenan macht sich sein Teampartner Eichelmann unterdessen für den Aufstieg fertig. Sein Bauchgurt ist stark beladen. Um eine ringförmige Halterung stülpt er den Erntesack, damit er die Zapfen leicht einwerfen kann. Proviant und Wasser müssen mit. Wenn die Tannen eng genug stehen, kann er mit einem Wurfhaken an einem zweiten Seil direkt von einer Krone zur nächsten wechseln. Mit dem selbst geschnitzten langen Pflückstab, der am Ende einen Haken aufweist, zieht der 24-Jährige Äste mit den Zapfen an sich heran.

Steigeisen gehören nicht zur Ausrüstung, denn sie könnten den schönen Baum beschädigen. Das Aufstiegsgerät, Steigklemmen und Sicherungen am Seil machen es möglich, dass die Zapfenpflücker im Stil von Bergsteigern wie bei einem Treppenaufstieg an Höhe gewinnen. Eichelmann ist schnell oben. Als er sich durch die unteren toten Äste vorarbeitet, rieseln alte braune Nadeln wie Schnee herab. Dann ist er in der Krone verschwunden. Es geht weiter nach oben zur Spitze – dort stehen die begehrten Tannenzapfen senkrecht auf den Ästen.

In der Ruhe liegt die Kraft

„Das ist nichts für schwache Nerven“, betont Forstamtsleiter Roland Schockemöhle vom Regionalforstamt Hochstift. „Die sind 35 oder 40 Meter hoch, die Bäume. Und da oben müssen die Leute dann stehen, in dieser schwankenden Krone und da die Zapfen runterpflücken. Ich habe riesengroßen Respekt vor unseren Kollegen, die das hier unerschrocken, aber mit ganz viel Ruhe und Gelassenheit einfach machen.“

Drei Zapfenpflücker und ein Mann als „Bodenpersonal“ bilden an diesem Tag das Team in dem Waldstück im Eggegebirge. Im Notfall kann eine Leitstelle per Knopfdruck informiert werden. Vor der Aktion wird geprüft, ob sich die aufwendige Aktion dort überhaupt lohnt.

Es dauert nicht lange nach dem Aufstieg und der erste gefüllte Sack mit den ersten Hunderten Tannenzapfen rauscht nach einer Vorwarnung zu Boden. Marius Zimmermann, Sachgebietsleiter Forstgenetik des Zentrums für Wald und Holzwirtschaft, schätzt das Potenzial der Samenernte in diesem Waldstück auf fünf bis sechs Millionen neuer Tannenbäumchen.

27.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: Ein Förster hält zur Samenernte der Weißtanne einen aufgeschnittenen Weißtannenzapfen in der Hand. Der Wald soll angesichts des Klimawandels umgebaut werden. (Guido Kirchner/dpa)
27.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: Ein Förster hält zur Samenernte der Weißtanne einen aufgeschnittenen Weißtannenzapfen in der Hand. Der Wald soll angesichts des Klimawandels umgebaut werden.
(Guido Kirchner/dpa)
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Viele Bäume stellen eine hohe genetische Vielfalt sicher. Die Zapfenernte muss nachreifen, wird getrocknet, aufgearbeitet, bis das Samenkorn am Ende bereitsteht für Forstbaumschulen, Waldbesitzer und den Einsatz im Landesbetrieb Wald und Holz NRW selbst.

Die Weißtannen in diesem Waldstück sind bereits etwa 130 Jahre alt. „Wie die hier hingekommen sind, wissen wir nicht. Vermutlich hat einer der zahlreichen Vorgänger im Schwarzwald Urlaub gemacht und ein paar Tannenzapfen mitgebracht“, meint Schockemöhle.

Die Samenernte hier und anderswo sei ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Wald der Zukunft. „Jetzt machen wir uns dran, die Wälder von morgen zu begründen und zu gestalten, und da ist die Weißtanne eben einer - nicht der - einer der Bausteine“, erklärt er. Die Tanne könne mit mächtigen Wurzeln Stürmen und Trockenheit besser trotzen als die Fichte.

27.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: Auf einer Fläche im Eggegebirge ist eine aufgeforstete Lichtung zu sehen, in der viele neue Baum- und Tannenarten neben bereits abgestorbenen Fichten angepflanzt wurden. (Guido Kirchner/dpa)
27.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: Auf einer Fläche im Eggegebirge ist eine aufgeforstete Lichtung zu sehen, in der viele neue Baum- und Tannenarten neben bereits abgestorbenen Fichten angepflanzt wurden.
(Guido Kirchner/dpa)

In den buchengeprägten Mischwäldern der Region war vor 2018 im Schnitt jeder vierte Baum eine Fichte. Jetzt sind es nur noch wenige Prozent. So liegt auch zwischen den Tannen, in denen gerade die Zapfenpflücker arbeiten, eine tote Fichte, an der sich Pilze ansiedeln.

„Wir werden künftig noch stärker auf Mischen setzen, Laubholz mit Nadelholz, heimische Bäume mit Bäumen aus anderen Regionen“, sagt Schockemöhle. Mal Bäume, die aus herabfallendem Samen entstanden sind, mal Pflanzungen, mal Baumnachwuchs, der gesät wurde. „Wir mischen so gut es geht, um das Risiko zu streuen“, erklärt er.

27.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: An dieser Stelle einer kleinen Aufforstung stehen verschiedene Tannenarten und Bäume. (Guido Kirchner/dpa)
27.08.2025, Nordrhein-Westfalen, Paderborn: An dieser Stelle einer kleinen Aufforstung stehen verschiedene Tannenarten und Bäume.
(Guido Kirchner/dpa)

Waldbau-Professor Sebastian Hein von der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg in Baden-Württemberg wirbt für Vielfalt in mehrfacher Hinsicht. „Wer streut, der rutscht nicht. Wer Vielfalt hat, wird ein geringeres Risiko haben“, verdeutlicht er. Der Aufbau großer Fichten- und Kiefernwälder habe bereits im 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung begonnen. Solche Nadelwälder seien anfälliger als Mischwälder für Stürme, Schädlinge, Krankheiten und die Folgen des Klimawandels.

„Es werden andere Wälder sein“

Deshalb gehe es um einen schrittweisen Umbau: Vielfalt bei den Baumarten, bei der Dimension der Bäume und bei den Bewirtschaftungskonzepten. Neben dichten kühlen Waldflächen könnten lichte warme Wälder Habitate für manche wärmeliebenden Insekten wie Schmetterlinge sein. Angesichts längerer Trockenphasen kämen neben einheimischen Bäume potenziell auch etwa Eichenarten aus dem Mittelmeerraum für den Wald der Zukunft in Deutschland in Betracht. „Es wird auch in Zukunft Wälder geben, aber es werden andere Wälder sein“, prognostiziert Hein.

Besonders viele Eicheln

Ein besonders Naturerlebnis bieten seinen Worten nach dieses Jahr die Eichen, die in einer Reihe von Bundesländern viele Früchte trügen. So ein Maximum komme im Schnitt nur alle fünf bis sechs Jahre vor. „Wenn die Eicheln Anfang bis Mitte November herunterfallen und dabei auf die Blätter darunter klatschen, ist das ein richtiges Konzert.“ Hein verweist auf die Tradition des Eichelsammelns, etwa im Spessart in Bayern. An der Wiederbewaldung wirken so viele Familien in der Region mit.

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