Hurrikan Melissa entzieht Kleinbauern in Jamaika den Boden | Weather.com

Hurrikan Melissa entzieht Kleinbauern in Jamaika den Boden

Für Zigtausende Familien in Jamaika sind Landwirtschaft und Fischerei die Lebensader. Hurrikan Melissa hat sie für viele gekappt.

Schlamm überdeckt ein Fußballfeld in Montego Bay, Jamaika, nachdem Hurrikan Melissa über den Inselstaat zog. (AP Photo/Matias Delacroix)
Verwüstung im Karibik-Paradies: Schlamm überdeckt ein Fußballfeld in Montego Bay, Jamaika, nachdem Hurrikan Melissa über den Inselstaat zog.
(AP Photo/Matias Delacroix)

Als Hurrikan Melissa über Jamaika fegte, war Prince Davis in sicherer Entfernung in Nicaragua. Dort wollte der Fischer Kontakte knüpfen und Kundschaft anwerben. Doch dann kamen die Nachrichten aus der Heimat: Der Sturm hat ihm die Existenzgrundlage entrissen.

„Mit dem ganzen Schaden jetzt, da wird doch keiner mehr etwas kaufen können“, sagt der Unternehmer. Melissa riss ein Loch in sein Boot, zerstörte das Dach seines Hauses in White House und hinterließ eine Spur der Verwüstung in dem Ort.

Leere statt Mango-Plantage

Rund 30 Kilometer nordwestlich, in der Ortschaft Amity, blickt der Landwirt Denver Thorpe bestürzt auf sein Land, wo einst zwei Gewächshäuser und sechs Hektar voller Mangobäume waren. „Da ist überhaupt nichts mehr“, sagt Thorpe.

Es dauert noch, bis das Ausmaß der Zerstörung, die der Hurrikan Melissa in dem Karibikstaat hinterlassen hat, komplett erfasst ist. Fachleuten zufolge ist aber klar, dass der Sturm Zehntausenden Landwirtschafts- und Fischereibetrieben verheerende Schäden zugefügt hat.

Schwierige Ernährungslage schon vor Melissa

„Ich würde sagen, dass jede Ernte auf dem Weg des Hurrikans Schaden erlitten hat, darüber gibt es keine Diskussion“, erklärt Lola Castro, die Regionaldirektorin des Welternährungsprogramms (WFP) für Lateinamerika und die Karibik. Einige Obstbäume könnten sich vielleicht erholen, aber manch andere Kulturen seien verloren. Auch in Kuba und Haiti seien ähnliche Auswirkungen zu befürchten.

Schon vor Melissa seien in Haiti, Jamaika und der Dominikanischen Republik rund zehn Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen gewesen, sagt Castro. Zu Kuba liegen dem WFP keine Daten vor.

Landwirtschaft als Lebensader

Erst vor 15 Monaten hatte der Hurrikan Beryl in Jamaika mehr als 50.000 Landwirtschaften und rund 11.000 Fischern schwere Schäden zugefügt. Das Landwirtschaftsministerium bezifferte sie auf 4,73 Milliarden Jamaika-Dollar (25,3 Millionen Euro). „Wir waren gerade dabei, die Kurve zu kriegen“, sagt der Mangobauer Thorpe, Regionalleiter der Landwirtschaftsgesellschaft von Jamaika.

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Mehr als 200.000 Landwirte und Landwirtinnen gibt es in dem 2,8-Millionen-Einwohner-Land. «Die meisten Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt mit Fischerei und Landwirtschaft in Kleinbetrieben», sagt Donovan Campbell von der University of the West Indies. „Das ist wirklich die Lebensader der Schwächsten in unserer Gesellschaft.“

Kornkammer unter Wasser

Die Landwirtinnen und Landwirte bauen sowohl für den heimischen Verbrauch als auch für den Export an. Bananen, Melonen und Kakao gehören dazu. Jamaika ist einer der weltweit größten Exporteure von Yamswurzeln, und der Kaffeeanbau bringt jährlich laut dem Verband der Kaffeeexporteure Jamaikas umgerechnet knapp 22 Millionen Euro ein.

Die meisten Produkte stammen von kleinen Betrieben. Etwa 80 Prozent der Landwirte seien Kleinproduzenten mit einer Fläche von zwei Hektar oder weniger, erklärt Campbell.

Allein in der Gemeinde St. Elizabeth, bekannt als Kornkammer Jamaikas, waren laut Zahlen von 2022 mehr als 35.000 Landwirtschafts- und Fischereibetriebe registriert. Die Region stehe nun „unter Wasser“, hieß es in der vergangenen Woche seitens der Behörden.

Lebensunterhalt auf der Kippe

Und in seiner Branche gefährde nicht nur der Verlust von Booten und Netzen die Existenz, ergänzt der Fischer Davis. Auch der fehlende Strom trage dazu bei: Ohne Strom gebe es kein Eis, um den Fang zu lagern. Zudem dürfte auch die Nachfrage sinken, wenn Touristen nach dem Sturm ausbleiben.

Besonders schlimm sei es nun für jene, die mit ihrem Fang vor allem die Familien ernährten und nur einen kleinen Teil verkauft hätten, erklärt Davis. Davon seien sie abhängig. „Dieses geringe tägliche Einkommen sichert ihren Lebensunterhalt, den ihrer Familien, ihrer Kinder und deren Schulbildung.“

Warten auf Hilfe

Hilfsmaßnahmen konzentrieren sich zunächst auf das Dringlichste: Unterkünfte, medizinische Versorgung, Lebensmittel, sauberes Wasser und die Wiederherstellung von Strom- und Kommunikationsnetzen. „Bis die kleinen Produzenten und Produzentinnen Unterstützung bekommen, ihre Verluste zu ersetzen, Geräte, Saatgut und Tiere zu kaufen, könnte es dauern“, sagt Universitätsprofessor Campbell.

Fischer Davis muss sein Boot reparieren und das Dach seines Hauses. Wann er wieder seinem Beruf nachgehen, Fisch verkaufen und Geld verdienen kann, weiß er nicht. Seine Sorge gelte der Frage, wann Wirtschaft und Leben wieder in normalen Bahnen laufen können, sagt Davis. „Alle sind jetzt dabei, die Scherben aufzusammeln.“

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