"Scheene Leich" - Trauerfeier für sterbenden Zugspitz-Gletscher | Weather.com
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"Scheene Leich" - Trauerfeier für sterbenden Zugspitz-Gletscher

25.07.2023, Bayern, Garmisch-Partenkirchen: Touristen gehen auf den Resten des Gletschers auf der Zugspitze spazieren. Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Die Reste des Zugspitz-Gletschers
(Peter Kneffel/dpa )

Sterbebildchen, Gebete, Weihrauch, Aussegnung - und danach ein "Leichenschmaus": Alles, was zu einer richtigen Trauerfeier gehört, haben die Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche für den "sterbenden" Zugspitzgletscher aufgeboten.

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Mit einem ökumenischen Requiem an Deutschlands höchstem Berg wollten die Kirchen am Dienstag aufmerksam machen auf die Folgen des rasant voranschreitenden Klimawandels - und auf die Bedeutung des Erhalts der Schöpfung. Rund 50 Menschen verfolgten die Feier in der Kapelle Mariä Heimsuchung auf 2600 Metern Höhe am Zugspitzplatt.

"​Unsere Lebensgrundlagen schmelzen weg wie dieser Gletscher"

"Wir fürchten uns davor, dass unsere Lebensgrundlagen wegschmelzen wie dieser Gletscher", sagte die evangelische Pfarrerin Uli Wilhelm aus Garmisch-Partenkirchen, von der die Idee stammte. Mit Trauer, Sorge und Wut sehe sie, wie das Klima sich verändere. Es sei nicht zu verstehen, dass Lösungen auf die lange Bank geschoben würden.

Situation wie am Sterbebett

"Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?", heißt es wie zugeschnitten auf die Lage in Psalm 121, den die Veranstalter als Leitwort der Gebete für Gletscher, Natur und Zukunft der Lebensräume wählten. Es sei durchaus eine Situation wie am Sterbebett, sagte Pastoralreferent Florian Hammerl. Man stehe ohnmächtig da. Allerdings helfe falsches Gottvertrauen nach dem Motto "der Herrgott wird's dann schon richten" hier nicht. Den Klimawandel müssten die Menschen schon selbst angehen. Jeder sei gefordert.

Kreuz mit Totenkopf

Voran das Kreuz, verziert mit einem Totenkopf, zog die Trauergemeinde bei Wind und Nebel Richtung "Sterbebett". Der Nördliche Schneeferner unweit der Kapelle könnte Wissenschaftlern zufolge ab 2030 den Status als Gletscher verlieren. Sieben Jahre noch mindestens also - fast ein bisschen früh, schon jetzt sein Ableben zu zelebrieren.

Ohne Eisbewegung ists kein Gletscher mehr

Rettung gibt es auch für keinen der drei anderen deutschen Gletscher, das sind der Höllentalferner an der Zugspitze sowie der Blaueis- und der Watzmanngletscher in den Berchtesgadener Alpen. Schon 2022 war der Südliche Schneeferner als fünfter Gletscher zu Grabe getragen worden. Mit etwa eineinhalb Hektar war er noch halb so groß wie vier Jahre zuvor - und fließt nicht mehr. Ohne Eisbewegung geht die Wissenschaft nicht mehr einem Gletscher aus, erläutert der Glaziologe Christoph Mayer von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die für die Staatsregierung alle paar Jahre einen Gletscherbericht erstellt.

V​erheerender Sommer 2022

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Die Gletscher in Berchtesgaden werden die nächsten sein. "Die Eisreserven reichen vielleicht noch für zwei, drei Jahre, wenn wir weiter Sommer haben wie im vergangenen Jahr", sagt Mayer. Der Sommer 2022 mit wochenlangem Sonnenschein sei "verheerend" gewesen. Dieses Jahr hat der späte Schneefall im Frühjahr für einen kleinen Schutzmantel gesorgt. Aber: "Die Tage sind auf jeden Fall gezählt."

Der Nördliche Schneeferner hatte zuletzt noch 16,1 Hektar, weniger als die Hälfte des Oktoberfestgeländes. Von 2014 bis 2022 verlor er fast ein Drittel an Dicke. Damals hatte das Eis an der dicksten Stelle noch 39 Meter, im vergangenen Jahr waren es 27 Meter.

S​chleppliftstützen schon mehrfach versetzt

Mehrfach schon musste die Bayerische Zugspitzbahn die Stützen des Schlepplifts auf dem Gletscher versetzen. Die Bahn bereite sich darauf vor, dass der Lift irgendwann nicht mehr betrieben werden könne - jedenfalls nicht in der jetzigen Form, sagt Sprecherin Verena Tanzer. Wenn der Gletscher weg ist, bleibt eine tiefe Mulde, wo heute Skifahrer auf der Piste ihre Schwünge ziehen.

P​istenbetrieb schadet Eis nicht

Der Pistenbetrieb selbst schadet dem Eis nicht. "Im Gegenteil: Dadurch, dass Pisten präpariert werden, ist die Oberfläche nicht ganz so dunkel wie bei einem natürlichen Gletscher", sagt Mayer. Je heller, desto besser wird das Sonnenlicht reflektiert. Das Fehlen von Niederschlägen als Schnee ist ein wesentlicher Faktor für das Gletschersterben. "Das Abschmelzen geht noch schneller", sagt Laura Schmidt, Wissenschaftskommunikatorin am Schneefernerhaus.

Gletscher-Abschiedszeremonien auch auf Island und in der Schweiz

Abschiedszeremonien und Gebete für Gletscher gab es auch schon andernorts. Auf Island betrauerten Medien zufolge Menschen 2019 den tot erklärten Gletscher Okjökull. In der Schweiz veranstalteten Umweltaktivisten in schwarzer Kleidung einen Trauermarsch für den Pizol-Gletscher. Jahre zuvor beteten die Menschen im Dorf Fiesch im Kanton Wallis dafür, dass der Große Aletschgletscher wieder wächst. Dafür brauchten sie eine päpstliche Erlaubnis, wie Medien berichteten. Denn ihre Vorfahren hatten im 17. Jahrhundert gelobt, für ein Zurückweichen zu beten. Damals wuchs der Gletscher, brachte Geröll, Schlamm und Überschwemmungen. Nun hat sich das Sujet der Gebete genau umgekehrt.

K​eine schöne Leiche

Für den Zugspitz-Gletscher hat der Kirchenmusikdirektor des evangelischen Dekanates Weilheim, Wilko Ossoba-Lochner, extra eine "Elegie auf das Ende des ewigen Eises" komponiert, mit drei eigens engagierten Sängerinnen als mahnende Stimmen.

"A scheene Leich" nennen die Bayern eine gelungene Beerdigung. Der abgemagerte Gletscher, von dem an den Rändern teils nur Eisflecken zwischen Geröll übrig sind, das ist freilich "koa scheene Leich".

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