Ministaat verschafft sich nach Klimadesastern Gehör beim Weltgericht | Weather.com

Ministaat verschafft sich nach Klimadesastern Gehör beim Weltgericht

Klein und doch ganz groß. Der Inselstaat Vanuatu leidet schwer unter den Folgen des Klimawandels und ist aktiv geworden - an der Spitze von mehr als 130 Ländern.

20.07.2025, Vanuatu, Insel Efate: Die Überreste des "Baums des Lebens" sind vor der Küste der Insel Efate zu sehen, nachdem er 2023 durch Wirbelstürme umgestürzt und 2024 durch ein Erdbeben weiter beschädigt wurde.
( Annika Hammerschlag/AP/dpa )

Als John Warmington in den Riffen nahe seinem Haus in Vanuatus Havannah Harbor zu tauchen begann, war er immer wieder überwältigt von dem, was er sah - ein wahres Paradies von Korallen mit Schwärmen von Fischen, die durch das Labyrinth schossen. Er und andere Taucher besuchten es so oft, dass sie es ins Kleinste kannten, sagt Warmington. "Es war wie ein Freund."

Jetzt kann man es nicht wiedererkennen. 2015 richtete der Zyklon "Pam" schwere Schäden am Riff an, und danach erstickten Sedimente von Flüssen im Inland die Korallenbänke. Dornenkronenseesterne kamen und verschlangen die sich just erholenden Polypen. Zwei Zyklone in Folge 2023 zerstörten, was noch übrig war. Im Dezember 2024 erschütterte dann ein starkes Erdbeben den Meeresboden. Verblieben ist ein Korallenfriedhof - verstreuter gebleichter Korallenschutt, zerstörte Habitate, leblos. "Wir sind in Tränen aus dem Wasser gekommen", schildert Warmington, der Tausende Male zu diesem einzelnen Riff getaucht ist. "Was wir sehen, ist herzzerreißend."

Heftige Zyklone und steigende Meeresspiegel

Und derartig traurige Anblicke werden immer häufiger in dieser kleinen pazifischen Inselnation, wo zunehmend heftige Zyklone, steigende Meeresspiegel und eindringendes Salzwasser die Küsten umformen und das tägliche Leben bedrohen. Seit 1993 ist der Meeresspiegel um Vanuatus Küsten jährlich um etwa sechs Millimeter gestiegen, deutlich schneller als der globale Durchschnitt, und in manchen Gebieten hat tektonische Aktivität diese Rate verdoppelt.

Ein Klimadesaster nach dem anderen

Ein Klimadesaster nach dem anderen - Vanuatu hat genug davon. Und so ist es dazu gekommen, dass dieser kleine Staat jetzt möglicherweise Geschichte geschrieben hat. Unterstützt von mehr als 130 Staaten zog er vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag und forderte ihn auf, zu zwei Fragen Stellung zu beziehen: Welche Verpflichtungen haben Staaten, etwas für den Klimaschutz zu tun? Und welche Konsequenzen könnten ihnen drohen, wenn sie dem nicht folgen?

"Saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt" ist ein Menschenrecht

Am Mittwoch kam die Antwort in der Form eines mehr als 500-seitigen Gutachtens - und sie ist aufsehenerregend genug. Das Richtergremium erklärte eine "saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt" zu einem Menschenrecht. Die Erde nicht vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen, könne einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellen, so der IGH. Er kam auch zu dem Schluss, dass Länder, die durch die Erderwärmung Schäden davontrügen, Anspruch auf Entschädigungen haben könnten.

Das Gutachten ist zwar nicht bindend, gilt aber als möglicher Wendepunkt im internationalen Klimarecht. Denn es könnte Einfluss auf künftige Bemühungen haben, größere Verschmutzer zur Rechenschaft zu ziehen. Und die Meinung der Richter könnte Vanuatu und anderen kleinen Staaten in einer ähnlichen Lage helfen, sich die Mittel zu sichern, die nötig sind, um sich dem Klimawandel anzupassen oder zu überleben.

2100 könnte ein großer Teil des Landes bei Flut überschwemmt sein

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Das Gutachten kam nach Jahrzehnten der Frustration für Pazifiknationen, die ihr Heimatland schrumpfen sehen. In Tuvalu, wo die Durchschnittshöhe über dem Meeresspiegel gerade mal bei zwei Metern liegt, hat mehr als ein Drittel der Bevölkerung ein Visum zur Übersiedlung nach Australien auf der Grundlage der Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Heimat beantragt. Laut Vorhersagen dürfte es spätestens 2100 so weit sein, dass ein großer Teil des Landes bei Flut überschwemmt ist. In Nauru bietet die Regierung Ausländern eine Staatsbürgerschaft durch Investition an, samt einem Pass, der visumfreies Reisen in Dutzende Länder ermöglicht. Die Einkünfte aus diesem Programm sollen helfen, mögliche klimabedingte Umsiedlungen zu finanzieren.

Für viele Kinder in Vanuatu sind die Folgen des Klimawandels an jedem Schultag zu spüren. An der Grundschule Sainte Jeanne d'Arc auf der Insel Efate hat die Lehrerin Noellina Tavi in zwei der vergangenen drei Jahre Unterricht in Zelten erteilt - zunächst nach den Zyklonen von 2023 und dann nach dem Erdbeben 2024. Wenn es regnet, wird es kalt unter den Planen und der Boden schlammig. Tavi schickt oft Kinder nach Hause, damit sie nicht krank werden.

Extremwetter führt zu Nahrungsmittelknappheit

In ländlichen Gebieten führt Extremwetter zu Nahrungsmittelknappheit. Landwirt Kaltang Laban auf der Insel Nguna musste mit ansehen, wie Zyklone die Bananen, den Maniok und die Wasserbrotwurzeln vernichteten, von denen sich seine Gemeinde ernährt. Nach Stürmen sei da "monatelang nichts", sagt er. Jetzt, mit Unterstützung der Organisation Save the Children, legen sich Laban und andere Bauern in einer Einrichtung neben ihren Gärten Vorräte von konservierten Früchten und Gemüsesorten an. Aber nicht jede Gemeinde habe diese Möglichkeit, sagt er.

Mehr als 70 Prozent von Vanuatus Einwohnern leben in ländlichen Gebieten und stützen sich auf kleine Agrarbetriebe - die in manchen Provinzen auch unter häufigeren Dürreperioden leiden. Neben dem Klimawandel belasten Küstenentwicklung, tektonisches Absinken, Vulkanausbrüche und Entwaldung das Ökosystem, wie Christina Shaw, Leiterin der Umweltorganisation Environmental Science Society in Vanuatu, sagt.

"Das Meer holt uns ein, und wir wissen nicht, was tun"

Auf der Insel Pele sitzt Amos Kalsont, ein Dorfoberhaupt, am Grab seines Bruders, Wellen schlagen gegen zerbrochene Grabsteine, halb versunken im Sand. Bei Flut sind die Ruhestätten seines Bruders und Vaters nur ein paar Armlängen vom Meer entfernt. Eindringendes Salzwasser hat die Haupttrinkwasserquelle der Gemeinde verdorben. Jetzt überlegt man sich, das ganze Dorf umzusiedeln. "Das Meer holt uns ein, und wir wissen nicht, was tun", sagt Kalsont.

Viele in Vanuatu wollen auf jeden Fall bleiben, etwas Stabileres bauen, und hoffen, dass die Welt sie unterstützen wird - vielleicht erst recht nach dem IGH-Gutachten. Und John Warmington in Havannah Harbor taucht weiter im Riff, das ihm so nahesteht. Viel davon ist weg, doch haben er und seine Frau damit begonnen, Korallenteile neu anzupflanzen - in der Hoffnung wiederherzustellen, was übrig ist.

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