Meeresspiegel neun Meter höher: 125.000 Jahre alte Katastrophe könnte sich wiederholen | The Weather Channel

Meeresspiegel neun Meter höher: 125.000 Jahre alte Katastrophe könnte sich wiederholen

Eismassen in der Antarktis werden offenbar erneut instabil
(Getty Images )

Kollabiertes Eisschild ließ Meeresspiegel steigen

Vor 125.000 Jahren, zu Beginn der erdgeschichtlichen Periode des Eem, waren die Temperaturen nur wenig höher als heute. Doch die Meeresspiegel lagen um sechs bis neun Meter über dem aktuellen Niveau, so dass große Gebiete, die derzeit trocken liegen, überflutet wurden.

In einer neuen Studie fanden Wissenschaftler die Ursache für den damaligen Meeresspiegel-Anstieg heraus: Der Westantarktische Eisschild war kollabiert. Das Wasser seiner schmelzenden Gletscher ergoss sich ins Meer und ließ die Fluten steigen.

Katastrophe könnte sich wiederholen

Die Katastrophe, fürchten Glaziologen, könnte sich wiederholen. Denn die Eismassen in der Antarktis werden offenbar erneut instabil. Der Westantarktische Eisschild ruht überwiegend auf felsigem Untergrund, der über weite Teile unter dem Meeresspiegel liegt. Ihn umsäumen große Eisschelfe, die rund 11 Prozent seiner Ausdehnung ausmachen. Viele relativ schnell fließende Gletscher aus dem Inneren des Schilds münden in die Schelfe.

Durch diese Topografie steigt das Risiko, dass erwärmtes Ozeanwasser diese Meereisdecken schmelzen lässt und in die tiefer liegenden, eisgefüllten Becken an Land vordringt. Schließlich könnte sich der Eisschild vollständig auflösen.

Eem war letzte Warmzeit vor heute

Im Eem, das von 126.000 bis 115.000 Jahre vor der Jetztzeit währte und die letzte Warmzeit vor der gegenwärtigen war, wurde dieses Szenario wahrscheinlich Realität. Dies schließt eine Forschergruppe um den Geologen Anders Carlson von der Oregon State University aus Daten, die sie anhand von Eisbohrkernen gewann. Beim Jahrestreffen der American Geophysical Union Mitte Dezember in Washington präsentierte Carlson die Ergebnisse der Analysen.

„Wenn dieses Ergebnis Bestand hat, würde bestätigt, dass der Westantarktische Eisschild keinen großen Stups braucht, um sich zurück zu ziehen“, erklärte der Paläoklimatologe Jeremy Shakun vom Boston College gegenüber dem Wissenschaftsjournal „Science“. „Dies wiederum lässt vermuten, dass der starke Massenverlust, den wir dort seit ein bis zwei Dekaden beobachten, der Beginn dieses Prozesses ist, und nicht nur ein kurzfristiger Ausreißer.“ Dann müsse sich die Welt für einen schnelleren und höheren Anstieg des Meeresspiegels als bislang erwartet wappnen. Denn als der Eem-Kollaps in Gang kam, sei das Wasser um 2,50 Meter pro Jahrhundert gestiegen.

Bohrproben zeigen Verlauf

Zuvor dachten die Forscher, das Tauen des Eispanzers auf Grönland habe die Eem-Flut verursacht. Doch in einer 2011 erschienenen Studie konnten Carlson und seine Kollegen diese Hypothese widerlegen. Sie hatten Bohrproben aus Sedimenten an der Südspitze der Insel gewonnen. Wie sich zeigte, stammten die darin enthaltenen radioaktiven Isotope durchgängig von Felsgestein, das von Gletschern abgeschliffen wurde. Das bedeutet, dass der grönländische Eispanzer nicht verschwand, sondern während des gesamten Eem Gesteinsgrus abgab, der im Meer als Sediment abgelagert wurde.

Dies lenkte den Verdacht auf den Westantarktischen Eisschild. Deshalb wandte Carlson seine Isotopenanalysen nun bei in Archiven eingelagerten Bohrkernen an, die von der Westküste des sechsten Kontinents stammten. Darin fand sich die Signatur dreier unabhängiger Quellen der sedimentierten Gesteinstrümmer: die gebirgige antarktische Halbinsel, das Marie-Byrd-Land sowie die zwischen beiden gelegenen Region, durch die der riesige Pine-Island-Gletscher fließt. Zudem nahm die Forschergruppe einen Bohrkern aus dem westlich der antarktischen Halbinsel gelegenen Meeresgebiet unter die Lupe, der die Ablagerungen von 140.000 Jahren enthielt.

Eis verschwand aus Westantarktis

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Das Ergebnis: Die meiste Zeit enthielt das Sediment Isotope aus allen drei Quellen, was auf eine durchgängig vom Eis verursachte Erosion hinweist. Doch im frühen Eem verschwanden nacheinander die „Fingerabdrücke“ des Pine-Island-Gletschers sowie des Marie-Byrd-Lands. Nur noch Geröll von der Halbinsel blieb übrig. Offenbar konnte sich dort noch ein Rest an Eismassen halten, während sie in der übrigen Westantarktis verschwanden. „Wir sehen keine Sedimente mehr, die vom viel größeren Westatlantischen Eisschild stammen“, bekräftigt Studienhauptautor Carlson. „Wir interpretieren das so, dass er verging, jedenfalls hatte er keine erosive Kraft mehr.“

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Dies bestätigt das Ergebnis einer Studie, die Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremen bereits 2016 durchführten. Mittels Modellrechnungen hatten sie untersucht, wie sich der Westantarktische Eisschild im Zuge der globalen Erwärmung verhalten könnte. In der Simulation schrumpften die Eismassen in zwei Schüben. Der erste führt zum Rückzug des Schelfeises. Als Folge davon fließen die dahinter liegenden Eismassen beschleunigt in den Ozean. Der Meeresspiegel steigt und lässt die Eismassen verstärkt aufschwimmen, was den Rückzug der Gletscher weiter voran treibt. Dieser Prozess stoppt erst, wenn ein Bergrücken unter dem Eis dessen Rückzug bremst.

Kollaps könnte sich rasant abspielen

Nimmt die Ozeantemperatur weiter zu oder erreicht die Gründungslinie des Eises ein tiefer liegendes Becken, ziehen sich die Gletscher noch weiter zurück. Dies führt letztlich zu einem kompletten Kollaps des Eisschildes. „Bei einem „business-as-usual“-Szenario der globalen Erwärmung könnte sich der Kollaps rasant abspielen und die Eismassen könnten innerhalb der nächsten 1000 Jahre komplett verschwinden“, so Studienhauptautor Johannes Sutter.

Allerdings ist nicht sicher, ob dieser Fall tatsächlich eintritt, dazu sind die Unsicherheiten in den Prognosen zu groß. So gesteht der Geologe Carlson zu, dass die Datierungen der Bohrkerne nicht genau genug sind, um die Änderungen in der Gesteinserosion vollständig dem Eem zuzuordnen. So könnten sich Meeresströmungen verschoben und die fehlenden Ablagerungen an andere Orte transportiert haben.

Eem lässt sich nur bedingt mit Jetztzeit vergleichen

Außerdem lasse sich das Eem nur bedingt mit der Jetztzeit vergleichen, wendet die Geophysikerin Jacqueline Austermann vom Lamont-Doherty Earth Observatory in Palisades (US-Staat New York) ein. „Die damaligen Klimaverhältnisse glichen denen, die heute auf der Erde herrschen, doch die Analogie stimmt nicht ganz“, sagt Austermann.

So lag die damalige Temperatur um zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau, heute ist erst ein Grad Zunahme erreicht. Weiter sei die Eem-Warmzeit durch Änderungen von Bahn und Rotationsachse der Erde verursacht worden, gegenüber den heute dominierenden Treibhausgasen. Dadurch blieb die Antarktis vermutlich kühler als aufgrund der aktuellen Erderwärmung zu erwarten ist. Deshalb ist es laut Austermann ein Rätsel, was den Meeresspiegel im Eem ansteigen ließ. Gewissheit könnten neue Bohrkerne bringen, die das Forschungsschiff „Joides Resolution“ im Frühjahr 2019 vom Meeresgrund holen soll. Doch die bereits jetzt beobachtete Gletscherschmelze lässt ahnen, wie die Klimazukunft der Antarktis aussehen dürfte.

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