Tsunamis: Risiko auch in Europa real | Weather.com
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Erdbeben: Tsunami-Gefahr auch in Europa

Tsunamis sind kein fernöstliches Phänomen: Auch europäische Küsten sind bedroht. Ein Experte erklärt, wo es besonders kritisch ist – und wie sich Europa schützt.

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Die dunkelgrau unterlegten Gebiete gehören zu den Regionen in Europa, die von Tsunamis betroffen sein können
(TWC)

Zwar verbinden viele Menschen Tsunamis vor allem mit Katastrophen in Asien, wie dem verheerenden Tsunami von 2004, dem Schätzungen zufolge 230.000 Menschen zum Opfer fielen. Doch auch in Europa ist das Risiko real – immer wieder bebte zuletzt im Mittelmeerraum die Erde, auch unter Wasser. Das bestätigt Dr. Andrey Babeyko vom Helmholtz-Zentrum für Geoforschung (GFZ): In den erdbebengefährdeten Regionen Europas sei das Tsunami-Risiko „nicht zu vernachlässigen“.

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Eine wichtige Grundlage für diese Bewertung liefert die bislang umfassendste europäische Gefährdungsstudie, die im Rahmen des Projekts TSUMAPS-NEAM von 2016 bis 2018 durchgeführt wurde. Die dabei entstandene Karte zeigt erwartbare Wellenhöhen mit großen Wiederkehrperioden – oder auch Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Wellenhöhen innerhalb der nächsten 50 Jahre.

Gleichzeitig mahnt der Wissenschaftler zur Vorsicht bei der Interpretation solcher Daten und Prognosen: „Die Karte zeigt, was eintreten kann – nicht, was eintreten wird.“

Gefährliche Regionen: Wo die Erde besonders tief atmet

Tsunamis in Europa sind meist lokal begrenzt. Anders als in Regionen wie dem „pazifischen Ring of Fire“ mit sogenannten Subduktionszonen, in denen eine tektonische Platte unter eine andere abtaucht, seien die Beben in Europa zudem meist schwächer, sagt Babyeko. Beides mache sie aber nicht weniger gefährlich. Hier entscheide die Nähe zur Quelle, wie zerstörerisch Tsunamis werden. „Am meisten gefährdet sind die Küsten in der Nähe aktiver Störungszonen.“

Zu diesen zählen laut Babeyko unter anderem:

* das östliche Mittelmeer (vor allem der West- und Ostgriechische Bogen),

* das Marmarameer bei Istanbul,

* die Region östlich von Gibraltar,

* die Adria mit ihren vielen kleineren Verwerfungen,

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* die algerische Küste,

* sowie vulkanische Gebiete wie Santorin (Kolumbo) und Stromboli.

Selbst kleinere Erdbeben könnten dort durch Unterwasser-Rutschungen lokal hohe Tsunamis erzeugen, wie historische Beispiele belegen, so der Geoforscher.

Rückblick mit Wucht: Europas Tsunami-Geschichte

Mehrere historische Tsunamis haben Andrey Babeyko zufolge Europa bereits getroffen – mit teils dramatischen Folgen. Besonders eindrücklich sei der Tsunami von 365 n. Chr. auf Kreta gewesen, ausgelöst durch ein gewaltiges Erdbeben am Westgriechischen Bogen. Jüngere Beispiele sind das Messina-Erdbeben von 1908 sowie das Amorgos-Beben 1956 – beide mit begleitenden Hangrutschungen und lokal hohen Wellen.

Wiederholen könnten sich diese konkreten Ereignisse zwar nicht eins zu eins, betont der Forscher – „aber etwas Ähnliches ist durchaus möglich“. Wahrscheinlichkeiten ließen sich dabei nur über statistische Modelle abschätzen – und die berücksichtigen bislang vor allem tektonische Auslöser, nicht jedoch Erdrutsche oder Vulkane, sagt Babeyko.

Was Tsunamis auslöst – und welche Rolle der Klimawandel spielt

Die meisten Tsunamis weltweit werden durch Erdbeben verursacht, erklärt Babeyko. In einigen Fällen könnten Erdbeben zudem Unterwasser-Rutschungen auslösen, die den Tsunami lokal verstärken. Bei Vulkanausbrüchen gehe die größte Gefahr nicht vom Ausbruch selbst, sondern von einem möglichen Flankenkollaps aus – wie es etwa 2018 bei dem Vulkan Anak Krakatau in Indonesien der Fall war.

Auch der Klimawandel spiele künftig eine Rolle, sagt der Geoforscher: „Der Meeresspiegelanstieg verändert Küstenlinien und steigende Wassertemperaturen könnten unterseeische Hänge destabilisieren.“ Dadurch könne es vermehrt zu Rutschungen kommen.

Eine weitere Gefahr: Durch den Klimawandel sei mit einer Zunahme von Meteo-Tsunamis – also durch Wetterextreme ausgelöste Wellen – insbesondere in der Adria zu rechnen.

Frühwarnung: Wenn jede Minute zählt

Die Erkennung eines Erdbebens dauere meist nur zwei bis drei Minuten, erklärt der Geoforscher. „Dann muss jedoch erst geprüft werden, ob das Ereignis tatsächlich tsunamirelevant ist“, sagt Babeyko. Je nach Nähe zur Quelle bleibe mitunter nur sehr wenig Zeit. Besonders im Mittelmeer handle es sich häufig um sogenannte Nahfeld-Tsunamis – diese erreichen die nächstgelegenen Küsten in wenigen Minuten, weiter entfernte Regionen erst deutlich später.

Doch wie kann überhaupt gewarnt werden? Im europäischen Raum koordiniert die UNESCO die Tsunami-Frühwarnaktivitäten über die Intergovernmental Coordination Group. Die Tsunami-Frühwarnung wird von den sogenannten Tsunami Service Providern – in Frankreich, Portugal, Italien, Griechenland und der Türkei – ausgegeben. Sie sind offiziell zertifizierte NEAMTWS-Frühwarnanbieter. Auch nationale Warnzentren gebe es, etwa in Spanien.

Europa im Vergleich: Fortschritte mit Luft nach oben

Europa sei beim Risikomanagement insgesamt auf einem guten Weg, so Andrey Babeyko. Wichtige Fortschritte seien die Koordination über die UNESCO sowie EU-weite Projekte und Initiativen wie das „Tsunami Ready Programme“, das Küstengemeinden darin unterstützt, sich auf Tsunamis besser vorzubereiten und so den Verlust von Menschenleben, Lebensgrundlagen und Eigentum zu minimieren.

Doch es bleibe noch viel zu tun: „Technisch brauchen wir mehr Infrastruktur, um Tsunamis direkt im Meer zu erkennen.“ Derzeit setze man vor allem auf seismische Stationen an Land und Pegelmesser an der Küste. Künftig seien Bojen mit Bodendrucksensoren oder SMART-Kabel notwendig, um Tsunamis direkt im Meer zu erkennen und zu messen.

Technologien wie das deutsch-indonesische Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean (GITEWS) und im Pazifik das DART-System (Deep-ocean Assessment and Reporting of Tsunamis) zeigen bereits in der Praxis, dass das möglich ist.

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